Die Hexengraefin
Sympathie für einen »Kaiserlichen« und ihren eigenen Kanzler, Kardinal Richelieu, liebten sie genauso wenig.
Im Gegenteil, Seine Eminenz schien verhasst zu sein, weil er beständig die Steuern der kleinen Leute anhob, laufend die drückende Abgabenlast erhöhte und die Rechte des Adels zugunsten der Krone bis zur Unerträglichkeit beschnitt.
Schon mehrere Anschläge auf sein Leben hatte der Kardinal unbeschadet überstanden, aber immer wieder gab es jemanden, der versuchte, das Land von diesem »Blutsauger in der roten Robe« zu befreien.
Wer das Maul aufmachte, um leise zu protestieren, der konnte froh sein, wenn er »nur« ausgepeitscht wurde. Manch einer aber fand sich auch am Galgen wieder, der etwas zu laut seine Meinung über Kanzler und König geäußert hatte. Seine Eminenz der Bischof Leopold war im Gegensatz dazu ein vergleichsweise milder Herr – fand jedenfalls der Kutscher.
Anne Larousse saß ihrer Herrin und der teilnahmslosen Hélène auf der hart gepolsterten Bank gegenüber und hielt den Beutel mit dem »Schmerzensgeld« des Chevaliers auf ihrem Schoß.
»Das habt Ihr gut gemacht, Madame«, lobte sie lächelnd die Comtesse. »Wenn Ihr auch gewaltig übertrieben habt – ich meine wegen meiner Jungfernschaft.«
»Wieso? Bist du etwa nicht mehr unberührt, Anne?«, erkundigte sich Adelaide neugierig. Interessiert beugte sie sich nach vorne, um ihrer Zofe in die kecken, braungrünen Augen zu schauen. Diese sah betreten nieder.
»Aber, Madame, schon lange nicht mehr. Bedenkt, ich bin fast einundzwanzig«, fügte sie dann verlegen hinzu.
»Wer war denn der Glückliche«, wollte Adelaide wissen, »und warum hast du ihn nicht geheiratet?«
»Das war nicht möglich, Madame. Er hätte mich schon zur Frau gewollt, aber dann hätte ich nicht länger bei Euch bleiben können.«
»Nun sag schon: Wer war es denn?«, drängte die Comtesse.
»Georg, der Bruder von unserem armen Helen«, murmelte die Zofe ein wenig beschämt, und Adelaide wunderte sich.
»Wie ist das möglich, dass ich nie etwas bemerkt habe von eurer Liebschaft? Das ist doch wunderbar, Anne. Ich finde, Georg Hagenbusch ist ein guter Mann, und du solltest dir das reiflich überlegen, wenn wir zurückkommen, ob du ihn nicht doch heiraten willst.«
»Ich weiß nicht, ob er so lange warten wird, Madame. Außerdem will ich doch den Dienst bei Euch auf keinen Fall verlassen.«
»Hm, das wäre allerdings ein Problem. Du als Bäuerin und Mutter – wie solltest du da als meine Zofe tätig sein?«
»Seht Ihr, Madame, das habe ich auch zu Georg gesagt. Ich glaube, er hat es schließlich verstanden, dass ich Schluss gemacht habe.«
»Immerhin hast du deine Unschuld einem Mann geopfert, der dich geliebt hat und dich ehrbar machen wollte. Es war nicht so wie bei mir«, entgegnete die Gräfin und verriet, ohne lange zu überlegen, ihr jahrelang sorgsam gehütetes Geheimnis.
»Ich war damals sehr jung, und hinterher habe ich es bitter bereut. Es war weder schön noch prickelnd. Nichts von alledem, wovon die Priester immer reden: Ich habe vom Reiz der Sünde des Fleisches nichts bemerkt – im Gegenteil. Ich beneide dich, Anne.«
»Ach, Madame, beneidet mich lieber nicht. Es ist nicht sehr angenehm, die Liebkosungen eines Mannes gekostet zu haben und sie dann plötzlich entbehren zu müssen. Die Bedürfnisse des Fleisches können einem ganz schön zusetzen, glaubt mir das, Madame.«
»Georg war gewiss ein guter Liebhaber«, vermutete die Gräfin, und Anne Larousse nickte verlegen.
»Oh, ja, Madame. Das war Georg wirklich. Einfühlsam, zärtlich und ausdauernd ist er gewesen.«
Beinahe erschrocken wandte Adelaide sich der stumm wie immer neben ihr sitzenden Hélène zu. Scharf fasste sie das junge Mädchen, welches nicht von dieser Welt zu sein schien, ins Auge.
»Beinahe hätte ich gedacht, dass Hélène eine Reaktion gezeigt hat«, sagte sie irritiert. »Aber ich habe mich wohl getäuscht.«
»Auch mir schien, als hätte sie auf den Namen ihres Bruders reagiert.«
»Wir wollen es noch einmal versuchen, Anne. Lass uns ihr den Namen Georg ein paar Mal vorsagen.«
Das taten die beiden jungen Frauen, und tatsächlich, es konnte kein bloßer Zufall sein, dass die Leidende mit den Augenlidern zwinkerte und sogar ihren Kopf nach derjenigen drehte, welche gerade den Namen ihres geliebten Bruders aussprach.
»Das ist der Anfang ihrer Heilung«, rief die Comtesse begeistert. »Es kann noch Jahre dauern, ehe sie wieder wie ein normaler
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