Die Hexengraefin
Sehnsüchte der einsamen Frau in der schwarzseidenen Kutte anzunehmen …
In dem entzückenden Weinbaustädtchen Chablis machte die Kutsche der Comtesse zur Mittagszeit halt.
»Die Pferde müssen leider noch einmal gewechselt werden, Madame«, sagte bedauernd der Kutscher, »denn das rechte lahmt, will mir scheinen.«
Adelaide genoss den Aufenthalt im Innenhof eines großen Weinguts, wo im Freien für sie und ihre Begleitung ein langer Tisch gedeckt war. Es war bereits Mitte November, aber heute war ein warmer, sonniger Tag und der Essplatz gut geschützt vor dem kalten Wind hinter den hohen, mit Zinnen versehenen Mauern des Gehöfts.
Üppig rankte sich immer noch gelbrotes, herbstliches Weinlaub an den Wänden des Gebäudes empor – noch hatte hier der Winter nicht Einzug gehalten. Die junge Frau hob ihr Gesicht den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen und atmete tief ein.
»Es sind noch etwa zwanzig Meilen bis zum Kloster, Madame«, schätzte einer der berittenen Begleiter, »das ist leicht zu schaffen.«
»Ja, das denke ich auch, Madame«, sagte ein anderer, »obwohl der Weg ab hier ziemlich holprig und voller Löcher ist. Wir werden höllisch aufpassen müssen, damit sich keines unserer Pferde zu guter Letzt noch ein Bein bricht.«
»Auch diese letzte Etappe werden wir überstehen, wenn ich auch sagen muss, dass eine Kutschenfahrt eher eine Schinderei als ein Vergnügen darstellt. Ich hätte es allemal vorgezogen zu reiten. Ich habe mich nur widerwillig der Etikette gebeugt, welche von einer Dame verlangt, dass sie sich tagelang blaue Flecken stößt.«
Adelaide musste lachen, als sie das Gesicht ihrer Zofe sah. »Ich weiß, liebe Demoiselle Anne, dass Sie die Fahrt im Wagen vorgezogen haben.«
Dann wurde sie aber ernst. »Für meine Schwester Hélène kam natürlich nur die Reise in der Kutsche infrage.«
Sie warf einen besorgten Blick auf die Kranke, die in völliger Regungslosigkeit auf ihrem Stuhl saß und sich von Anne Larousse wie ein kleines Kind füttern ließ. Nach wie vor war sie nicht zu bewegen, selbstständig die Speisen zum Munde zu führen.
Die Gräfin seufzte und wandte die Augen ab. Sie genoss den Blick in den strahlend blauen Himmel, von dem sie einen kleinen Ausschnitt im Hof des Weinguts erhaschen konnte.
Auch der Comte de Grandbois besaß angeblich Weinberge … Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr der junge Graf als strahlender Held in schimmernder Rüstung und funkelnder Wehr.
›Lieber GOTT, ich werde mich doch nicht etwa in ihn verliebt haben?‹, ging es der jungen Frau durch den Sinn. ›Das wäre wirklich Unsinn. Er ist Franzose, und sein König unterstützt die Feinde meines Kaisers. Außerdem: Wer sagt mir denn, dass er nicht längst eine Herzensdame hat?‹
Wieder seufzte Adelaide. Sie rief sich innerlich zur Ordnung. Aber hin und wieder wollte sie wenigstens von ihm träumen, damit sie nicht vergaß, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Es musste ja nicht immer in so einer Katastrophe wie mit dem zukünftigen Herzog von Württemberg enden...
Kurz darauf ging die Fahrt weiter. Der letzte Teil ihrer Flucht vor den kaiserlichen Kommissären hatte begonnen.
KAPITEL 57
AM FLUSS YONNE LAG, umgeben von Wein- und Obstgärten, das Kloster »Sainte Cathérine«. Bewohnt wurde es von Nonnen, welche nach der Ordensregel des heiligen Franziskus lebten. So viel wusste Adelaide, alles andere würde sich ergeben im Laufe der Zeit.
Der Empfang war fröhlich, lebhaft, ungemein herzlich, ja geradezu überschwänglich. Und genau dieses allzu Aufgedrehte – vor allem der Mutter Äbtissin – erschien der Gräfin aufgesetzt.
›Weshalb übertreibt sie so?‹, dachte sie misstrauisch. ›Ich nehme ihr ihre Begeisterung über meine Ankunft keineswegs ab.‹ Sie nahm sich vor, sehr vorsichtig zu sein.
Madame Angélique des Anges umarmte Adelaide ungestüm, strich der leidenden, von allem unberührt erscheinenden Hélène de Morrisson mitleidig über das kurze, blonde Haar und nickte sogar der gräflichen Zofe, Anne Larousse, gnädig zu. Mit strahlendem Lächeln hieß sie die Neuankömmlinge willkommen und ließ ihnen durch flink umherhuschende Nonnen ihre Zimmer anweisen.
Es handelte sich dabei um eine größere Zelle für die Comtesse und ihre Schwester sowie um eine durch eine Zwischentür verbundene kleine Kammer für die Zofe.
Das Gemach war zwar spartanisch, aber dennoch zweckmäßig eingerichtet. Die Betten hatten Rosshaarmatratzen und Daunendecken, für die
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