Die Hexengraefin
Dienerin allerdings nur einen Strohsack und Wolldecken. Auf dem gefliesten Steinboden lag in Adelaides Gemach ein dicker, gewebter Schafwollteppich. Es gab eine Truhe für Kleider und sonstige Dinge und einen Tisch mit drei Stühlen sowie einen Betschemel unter dem kleinen Fenster mit Blick in den Klosterhof.
An der Wand über dem Lager der Comtesse hing ein aus Buchsbaumholz geschnitzter Christus am Kreuz, und ein Bild über der Truhe zeigte die heilige Katharina mit dem zerbrochenen Rad als Zeichen ihres Märtyrertums.
Während die lächelnden, wie muntere Vögelchen zwitschernden Klosterfrauen ihr Gepäck hereinschafften, stellte sich Adelaide ans Fenster und schaute in den Hof hinaus. Sie sah direkt auf den gedeckten Brunnen in der Mitte, aus dem eben eine junge Laienschwester einen Eimer über die quietschende Winde heraufzog.
Die Gräfin hatte gar nicht bemerkt, dass sich die Äbtissin ebenfalls im Raum befand; erst als sie deren dunkel vibrierende und einschmeichelnde Stimme hörte, wandte Adelaide sich um.
Die schlanke, sich sehr aufrecht haltende Nonne hielt ein Schreiben in der Hand, das sie jetzt lächelnd der Jüngeren reichte.
»Der Brief ist vor einigen Tagen eingetroffen, Madame la Comtesse. Er stammt von Eurem Herrn Vater und wurde zuerst nach Straßburg an den Hof Seiner Eminenz, Bischof Leopold, gesandt. Man schickte Euch das Schreiben hinterher, aber inzwischen hat der Brief Euch überholt. Bitte, lest ihn, Madame.«
Aber Adelaide dachte nicht daran, dies vor den Augen der Äbtissin zu tun. Dazu wollte sie allein sein. Wer konnte wissen, von welchen Katastrophen ihr Vater zu berichten hatte?
Misstrauisch drehte sie das umfangreiche Kuvert in den Händen. Sie rechnete insgeheim damit, dass die Oberin von Sainte Cathérine es aus Neugierde bereits geöffnet hatte. Aber sie konnte nichts entdecken, was ihren Verdacht erhärtet hätte.
»Vielen Dank, Ehrwürdige Mutter. Ich werde ihn später in aller Ruhe lesen, wenn Ihr gestattet.«
Die Äbtissin verbeugte sich leicht und wandte sich zum Gehen, als die kleine Laienschwester die Zelle betrat, um mit dem frisch geschöpften Wasser die Waschschüssel auf der Truhe und den daneben stehenden Krug zu füllen. Handtücher hatte eben eine andere Nonne gebracht.
»Macht Euch in aller Ruhe frisch, Madame. Anschließend erwarte ich Euch im Refektorium zum Abendessen. Alle Mitschwestern sind schon seit Tagen sehr gespannt auf Euch«, tat sie lächelnd kund und verließ beinahe schwebend den strahlend weiß getünchten Raum.
»Na, Madame, das ist aber mal ein wirklich freundlicher Empfang, nicht wahr?«, sagte Anne, »anders als seinerzeit im Palast des Bischofs.«
»Wie? Was sagtest du, Anne?«
Die Gräfin schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Ihr Blick streifte die teilnahmslose Hélène, die eine der frommen Schwestern auf ihr Bett gesetzt hatte. Dort saß sie noch immer – ohne sich zu rühren.
Und so wird die Arme auch sitzen bleiben, bis man sie berührt, damit sie aufsteht, dachte sie bedrückt. Es ist ein Elend mit dem Helen, weiß Gott.
Seufzend sah sie nieder auf den dicken Brief in ihrer Hand. Es schien, als machte ihr das Schreiben Graf Ferfrieds Angst, je länger sie es ungelesen im Schoß hielt.
Endlich öffnete sie den Brief mit Hilfe ihres stets paraten Dolchs und begann zu lesen.
Auch die Äbtissin, die ihre geräumige und sehr komfortabel eingerichtete Zelle aufgesucht hatte, war mit dem Lesen eines Briefes beschäftigt. Sie saß in ihrem bequemen, weich gepolsterten Ohrensessel und ließ das Schreiben nach der Lektüre erbost sinken. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, und ihre schönen, dunkelbraunen Augen hatte sie verärgert zusammengekniffen.
»So eine bodenlose Frechheit! Das soll er mir büßen, dieser Hund von einem Priester. Was bildet dieser Narr sich eigentlich ein? Wen glaubt er, vor sich zu haben? Etwa eine dieser billigen Huren, die ihm in hellen Scharen nachlaufen?«
Unbeherrscht zerknüllte sie das Blatt, welches der Abbé der aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden, ehrwürdigen Kathedrale von Saint-Étienne in Auxerre mit großzügigen, beinahe lässigen Buchstaben beschrieben hatte.
Dann glättete die Äbtissin es aber und las erneut, welche Abfuhr ihr Pfarrer Simon Canfort erteilt hatte.
Im Geiste sah sie dabei den starken, großen Mann vor sich, welcher mit seinen feurigen Augen und dem sinnlichen Mund alle Frauen in Auxerre und darüber hinaus seit einiger Zeit verrückt machte.
Alle
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