Die Hexengraefin
Damen stand, indem sie jene mit einem Mann in Kontakt treten ließ, der weithin als Versucher berüchtigt war?
Manche glaubten, die noch junge Äbtissin wolle bloß aus Neugierde diesen interessanten Priester kennenlernen. Da wäre an sich noch nichts Schlechtes dabei.
Die Boshaften allerdings – man konnte auch sagen, Menschen mit Lebenserfahrung – meinten:
»Ist Mutter Angélique nicht die schönste Nonne von Auxerre? Und ist Abbé Simon Canfort nicht der attraktivste Geistliche unserer Stadt? Das wird den größten Skandal geben, den wir je erlebt haben.«
Damit sollten die Lästerer leider recht behalten – wenn auch auf völlig andere Weise.
»Er wagt es tatsächlich, mein Angebot abzulehnen«, zischte die Äbtissin über die Maßen erbost. »Das wird er mir büßen. Wenn er noch nie in seinem Leben etwas bereut hat, diese schnöde Absage wird dem geistlichen Herrn leidtun, so wahr mir GOTT helfe.«
Die Schwester, welche die Zelle der Äbtissin betrat, um die Ehrwürdige Mutter zum gemeinsamen Mahl ins Refektorium zu bitten, sah sich einer zutiefst verbitterten Frau gegenüber, die mit zusammengekniffenen Lippen düsteren Blickes vor sich hinstarrte und offenbar sehr ungute Gedanken in ihrem Kopf wälzte.
KAPITEL 58
ADELAIDE BLICKTE VON IHRER LEKTÜRE auf und sah ihrer Zofe in die Augen.
»Die Nachrichten von meinem Vater sind recht gemischt. Setz dich zu mir, und hör gut zu.«
Nachdem Anne auf einem Schemel Platz genommen hatte, begann die Comtesse den Inhalt des gräflichen Schreibens wiederzugeben.
»Die Gesundheit des Grafen ist so weit in Ordnung; das sagt jedenfalls sein Medicus, Doktor Wendelin Ohngleich. Des Weiteren hat sich mein Bruder Hasso überraschend mit der jüngsten Tochter des Herzogs von Württemberg verlobt.«
Beide Frauen blickten mitleidig auf die wie verloren da sitzende Demoiselle Hélène, die das alles unberührt ließ. In ihrer Welt spielten derlei Dinge keine Rolle.
Als Adelaide diese Nachricht gelesen hatte, war sie im ersten Augenblick unangenehm berührt gewesen; war die siebzehnjährige, schwäbische Herzogstochter Gisela doch die Schwester jenes Erben Württembergs, mit dem sie vor Jahren eine ebenso kurze wie unerfreuliche Affäre gehabt hatte …
Aber das war sechs lange Jahre her und die Gräfin war beinahe sicher, dass der junge Mann die Episode längst vergessen hatte.
»Wolfgang Eberle, unser Dorfschmied, ist neuer Schultheiß von Reschenbach, weil mein Vater dem Andreas Sütterlin gut zugeredet hat, worauf der anschließend freiwillig auf das Amt verzichtet hat.«
»Haha«, lachte Anne, »das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Ich auch«, erwiderte die Comtesse, »ich sehe meinen Vater direkt vor mir, wie er dem Sütterlin das Messer auf die Brust setzt und ihn so massiv unter Druck setzt, dass der Mann gern auf alles verzichtet.«
»Wahrscheinlich hat das Vreneli geredet, Madame. Und der Graf hat dem Andreas sein Verbrechen vorgehalten.«
»Wovon sprichst du, Anne?«, erkundigte sich die junge Frau.
Da erzählte die Zofe ihrer Herrin von der Vergewaltigung des Vreneli durch Andreas Sütterlin vor gut dreißig Jahren und dem Eingreifen des Jakob Hagenbusch.
Der Gräfin war das neu, aber sie meinte: »Ich habe immer schon geahnt, dass der Sütterlin ein Schwein ist. Ich weiß, was man sich über die rohe Behandlung seiner leibeigenen Mägde erzählt, aber dass er sich auch an Kindern vergriffen hat, davon höre ich zum ersten Mal.«
»Seine Frau kann einem leidtun, Madame«, fügte Anne hinzu. »Immer wenn der Andreas eine Liebschaft mit einem anderen Frauenzimmer beginnt, muss diese das Ehebett mit ihm teilen, und er zwingt seine Ehefrau dann, auf dem Strohsack der Magd in der Gesindekammer zu nächtigen.«
Die Gräfin schüttelte angeekelt den Kopf. »Nun, hör weiter, Anne. Die Herren auf Ruhfeld trainieren jeden Tag bis zum Umfallen den Kampf mit Lanze und Schwert. Und alle sind eifrig dabei, das Schloss zu befestigen. Die Mauer wird verstärkt. Die bisher relativ ungeschützte Flanke wird mit einem doppelten Mauerkranz umgeben, und ab sofort schützen zwei mit Eisenplatten verstärkte Tore den Schlosshof. Außerdem hat mein Vater den Aussichtsturm um etliche Meter erhöhen lassen, damit man bereits aus weiter Ferne ein etwa heranrückendes Schwedenheer erkennen kann.
Tag und Nacht patrouillieren doppelt so viele Wachen wie bisher auf den Mauern, und der Graf lässt Vorräte für eine mögliche Belagerung herbeischaffen und sogar einen
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