Die Hexengraefin
Seiten, völlig ermattet und ausgeblutet, sich zu einem Friedensschluss bereitfinden werden.«
»Wenn bereits so gut wie sicher ist, dass keine Seite den Sieg davontragen wird, warum hört man dann nicht beizeiten auf, sondern macht munter mit dem Abschlachten weiter?«, fragte die Comtesse.
Die Ältere lächelte überlegen. »Mein Kind«, sagte sie nach einer Weile ein wenig gönnerhaft, »das beweist nur die Beschränktheit der Männer. Für sie ist der Krieg nur ein, wenn auch recht blutiges, Spiel. Sie lieben es; glauben sie doch, sich darin als wahre Helden beweisen zu können. Mit Verstand oder Logik hat dies nichts zu tun.«
Adelaide nickte betroffen. »Ja, Ehrwürdige Mutter, und dass dabei die Sitten immer mehr verrohen, je länger die mörderischen Auseinandersetzungen andauern, ist ihnen gleichgültig. Nicht nur das niedere Volk erliegt der zunehmenden Barbarei, auch die Vornehmen haben Zucht und Moral verlernt.«
»In der Tat, meine Tochter, die glänzende Schicht der sogenannten höfischen Kultur ist bemerkenswert dünn. Umso wichtiger ist es, dass die Klöster ihre Aufgabe als Stätte der Moral und des züchtigen Benehmens deutlicher wahrnehmen, als sie es in der Vergangenheit getan haben. Dazu gehören in erster Linie das innige Gebet und Bußübungen, denen sich jeder Klosterinsasse gern und freiwillig unterziehen sollte.«
Der Comtesse war schon aufgefallen, dass die Äbtissin ihre Nonnen zwang, bis schier zum Umfallen zu fasten, und sie in der eisig kalten Klosterkirche stundenlang auf dem Steinboden knien und beten ließ.
»Welche Bußübungen meint Ihr, Ehrwürdige Mutter?«, fragte Adelaide naiv.
»Oh, da gibt es einmal diese Bußgürtel. Seht her, ich trage selbst einen.«
Und Madame Angélique hob ihren langen, schwarzen Rock hoch und wies auf ihren schlanken, weißen Oberschenkel, den ein ekelhaft aussehendes, ledernes Band, gespickt mit eisernen Stacheln, umschloss. Das Marterinstrument saß äußerst stramm und hatte die Metallspitzen ins Fleisch gedrückt. Kein Wunder, dass Blut über ihr Bein geflossen war, das allerdings bereits getrocknet war. Sobald die fromme Dame sich bewegte, würden die Wunden erneut zu bluten beginnen …
Adelaide musste wegsehen, sonst wäre ihr schlecht geworden. »Weshalb quält Ihr Euch selber so, Ehrwürdige Mutter?«, wollte sie mit erstickter Stimme wissen.
»Das machen viele Nonnen und Mönche, um die verwerflichen Begierden des Körpers abzutöten. Im Vergleich zu den Martern, die unser HERR JESUS erdulden musste, sind das nur Kleinigkeiten«, meinte die Äbtissin mit frommer Miene. »Zusätzlich zum Tragen dieser Bußgürtel ist es üblich, sich jeden Abend vor dem Schlafengehen mit einer Rute oder Geißel den Rücken zu peitschen, um während der Nacht nicht von unreinen Gedanken gequält zu werden.«
Aus der Stimme der Oberin klang so etwas wie Stolz auf ihre Leidensfähigkeit, und auf Befragen Adelaides gab sie zu, dass beinahe alle Nonnen von Sainte Cathérine es in gleicher Weise mit ihrer Bußfertigkeit hielten.
Beeindruckt und abgestoßen zugleich ging die Comtesse an diesem Abend zu Bett. Sie war froh, nicht selbst diesem frommen Wahn verfallen zu sein – denn für einen Wahn hielt sie dieses Verhalten der Klosterfrauen.
KAPITEL 60
DIE WOCHEN VERGINGEN, und die Weihnachtszeit rückte näher.
Die Comtesse machte sich im Kloster nützlich, indem sie Schwester Leontine zur Hand ging, die die Kranken versorgte, die man zu den frommen Frauen ins Hospital brachte.
Adelaide hatte sich erst an den großen Krankensaal gewöhnen müssen, in dem ein Lager sich an das andere reihte. Und in jedem Bett lagen für gewöhnlich zwei oder drei Personen, in Seuchenzeiten mussten sich sogar vier Kranke ein Bett teilen.
Die Luft war zum Schneiden, weil wegen der Kälte nicht genug gelüftet werden konnte. Die einzige Feuerstelle an der einen Längswand vermochte die spitzbogige, gotische Halle, die einstmals (als noch viel mehr Nonnen das Kloster bevölkerten) als Refektorium und später als Lagerraum für Getreide gedient hatte, kaum zu erwärmen.
Weil es an Decken mangelte, froren die Kranken erbärmlich. Es stank nach eitrigen Wunden, nach gestocktem Blut und Erbrochenem. Viele der Siechen konnten weder Stuhl noch Urin zurückhalten, sie ließen alles unter sich laufen, und das Pflegepersonal kam mit dem Säubern nicht nach. Da war jede helfende Hand willkommen.
Adelaide übernahm das Versorgen von frischen Wunden, das Füttern der
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