Die Hexengraefin
blauen Augen auf die fragenden, dunkelbraunen der Comtesse trafen, lächelte sie ihrer Jugendfreundin schwermütig zu.
Adelaide war das Herz schwer. War das der Anfang einer umfassenden Genesung, oder würde es bei der einmaligen Willensbekundung des armen Geschöpfes bleiben? Erhielte sie ihre Sprache in vollem Umfang zurück? Und: Wie würde ein wacher Geist mit dem ihr zugefügten Unrecht fertig werden?
Die Äbtissin vergaß für eine Weile ihre Abneigung gegen die Comtesse. Durch das neuerliche Wunder gewann ihr Kloster zusätzlich an Berühmtheit. Die Massen der Gläubigen strömten geradezu herbei, der Handel mit Devotionalien florierte ebenso, wie die Übernachtungen in der Klosterherberge an Zahl zunahmen.
Und nicht nur das gemeine Volk wurde angelockt, nein, gerade die Reichen und Vornehmen ließen es sich angelegen sein, einige Tage der Andacht und des Gebetes in Sainte Cathérine zu verbringen, das wundertätige Hemd zu verehren, welches man in einem Glasschrein auf dem Altar der Klosterkirche ausgestellt hatte, sowie den Gewandsaum der von der Sprachlosigkeit Geheilten zu berühren.
Und gleichsam als Reliquien nahmen die Gläubigen kleine Zettelchen mit, worauf Gebete standen, die angeblich von der Hand der zu neuem Leben Erweckten stammten …
Der Zulauf nahm in den nächsten Wochen derartige Formen an, dass Demoiselle Hélène am liebsten vor den vielen Menschen geflohen wäre.
Dabei blieb nicht aus, dass der Glorienschein, den die Mutter Oberin sich für ihre eigene Person erkämpft hatte, etwas verblasste. Ihre Eifersucht erwachte, und sie überlegte, wie sie sich erneut in den Mittelpunkt des Interesses rücken könnte – immerhin war das wundertätige Hemd ihr Eigentum.
KAPITEL 65
IM KLOSTER SUMMTE UND RUMORTE ES seit Tagen wie in einem Bienenstock, dessen junge Königin sich zum Ausschwärmen bereit machte. Illustrer Besuch hatte sich angekündigt: Denn der – nach dem König – erste Mann Frankreichs, Seine Eminenz, Kardinal Armand-Jean du Plessis, Herzog von Richelieu, gab sich die Ehre seines Erscheinens.
Das Gästehaus wurde in aller Eile völlig renoviert, um dem verwöhnten Geschmack des Kirchenfürsten Rechnung zu tragen und weil in seiner Person gleichsam der König von Frankreich mit geehrt wurde …
Richelieu, das durfte man getrost behaupten, war Ludwigs XIII. zweites Ich. Das französische Volk war von dieser Allianz wenig begeistert. Ob man dem örtlichen Feudalherrn oder dem König gehorchen musste, war den Leuten egal, denn, wie sie glaubten, verdankten alle diese Herren ihre herausgehobene Stellung GOTT und agierten quasi als Seine Stellvertreter.
Ganz anders verhielt es sich aber mit dem Kardinal, einem Politiker, der keineswegs aus dem Hochadel stammte und der sogar bürgerliche Advokaten zu seinen Vorfahren zählte … Deshalb wurde seine Person vom Volk nur gering geachtet.
Die kinderlose Königin Anna von Österreich bereitete dem Kardinal große Sorgen. Seit Jahren schon hatte sie sich immer wieder in ein mit einem steinernen Pelikan geschmücktes Eckzimmer des Benediktinerklosters Val de Grâce zurückgezogen.
Das von ihr gestiftete Kloster war im Laufe der Zeit zu ihrem Lieblingszufluchtsort geworden, da der König, ihr Gemahl, offenbar nichts von ihr wissen wollte.
Sie fühlte das Bedürfnis, der lauten Welt zu entfliehen, die nur Kriege und Intrigen kannte. Die Königin betete viel und las in der Bibel sowie den Schriften der heiligen Teresa von Avila.
Richelieu sah ihre regelmäßige Flucht aus Paris mit äußerstem Missfallen, denn es war schwierig, die Königin dort zu überwachen. Er wusste, sie schrieb auch Briefe, die einem englischen Botschaftssekretär zugesteckt wurden, damit dieser sie aus Frankreich hinausschmuggeln konnte.
Richelieu, von seinen allgegenwärtigen Spionen bestens unterrichtet, hatte erst kürzlich das Zimmer Königin Annas genau durchsuchen lassen. Und tatsächlich: Man hatte Briefe an ihre Brüder gefunden, einmal an den König Philipp von Spanien und weitere an den Infanten, den obersten Befehlshaber der spanischen Truppen in den Niederlanden.
Das erfüllte den Tatbestand des Hochverrats – jedenfalls in den Augen des Ersten Ministers.
Alles in allem waren es zwar harmlose Schreiben, aber in einem davon warnte die Königin vor einem bestimmten Klosterbruder, den Kardinal Richelieu neulich als angeblichen Vermittler nach Spanien – ein Land, mit dem sich Frankreich immerhin im Krieg befand – gesandt
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