Die Hexengraefin
ließ … Entgegen seines Versprechens hatte er sie im Kloster bisher noch nicht aufgesucht. Sicher dachte er längst nicht mehr an sie.
Von Bischof Leopold wusste sie, dass Kardinal Richelieu früher den Frauen sehr zugetan gewesen war.
Unauffällig beobachtete sie den Kirchenfürsten. Er war jetzt sechsundvierzig Jahre alt und ein schwer kranker Mann. ›Der Kardinal leidet vermutlich an dieser schrecklichen Franzosenkrankheit‹, dachte sie mitleidig, ›er könnte sich als junger Mann bei einer Dirne angesteckt haben, und jetzt erreicht er allmählich das dritte Stadium jener Seuche, von der es keine Heilung gibt. Immer aufs Neue werden an seinen Armen und Beinen eitrige, übel riechende Geschwüre aufbrechen, und seine Schmerzen werden immer unerträglicher werden‹, prophezeite sie ihm im Stillen.
Wie die Gräfin sehen konnte, hatte der Kirchenfürst den linken Arm dick bandagiert. Vermutlich war es mit seinen Beinen dasselbe, denn der stolze Herr, der sich normalerweise sicher sehr aufrecht hielt, hinkte ganz erbärmlich und verzog unmutig das Gesicht, wenn er gezwungen war, längere Zeit zu stehen. Seines gerade überstandenen Gichtanfalls zum Trotz hatte Richelieu tüchtig beim Mahle zugegriffen und auch jetzt, beim anschließenden Umtrunk, hielt er sich keineswegs zurück.
Nach einem Schluck aus dem Rotweinpokal schlug er das rechte Bein über das linke – die schmerzstillende Wirkung des Alkohols schien diese Bewegung jetzt zu ermöglichen – und fuhr in seinem Vortrag über die brisanten Geschehnisse im Deutschen Reich fort.
»Nachdem Ferdinand vor dem Wallenstein beinahe in die Knie gegangen ist, hat sich der Feldherr gnädig bereit erklärt, dem Kaiser noch einmal mit einer Armee beizustehen. Was aber eine militärische Unterstützung Maximilians von Bayern betraf, hielt sich der Böhme bedeckt.«
»Könnte das eine späte Rache an dem Bayernherzog gewesen sein, weil er ihm seine Absetzung im Jahr 1630 verdankt, Monseigneur?«, erkundigte sich die Äbtissin.
»Ja, Ehrwürdige Mutter, das denke ich. Lediglich ein paar tausend Reiter hatte er ihm geschickt, sozusagen als symbolische Geste. Der über siebzigjährige Tilly und der bayerische Kurfürst mussten sich allein gegen das anrückende Heer der Schweden behaupten. Bei Rain am Lech erlitt daher die bayerische Armee eine schwere Niederlage. Sie verlor beinahe viertausend Krieger.
Und das Besondere dabei: Graf Tilly wurde dabei von einer schwedischen Kugel am rechten Oberschenkel getroffen. Die Wunde entzündete sich, wurde brandig – nicht einmal eine Amputation konnte ihn retten – und so starb wenige Tage später der »Mönch in der Rüstung«, wie man den frommen Kriegsmann gerne nannte, am Wundfieber. Seitdem kann sich ungehindert der Strom der schwedischen Truppen ins Bayernland hinein ergießen. Es ist keiner mehr da, der ihnen Einhalt gebieten könnte.«
Die Äbtissin und die anwesenden Nonnen lächelten; das waren allerdings wunderbare Neuigkeiten. Darauf musste man ein Glas – oder auch mehrere – trinken.
Comtesse Adelaide ließ sich ihre Bestürzung nicht anmerken und murmelte etwas von einer höchst erfreulichen Entwicklung der Dinge. ›Wenn das mächtige Bayern vor Gustav Adolf im Staub liegen sollte, was wird dann aus meiner kleinen, unbedeutenden Heimat?‹, dachte die Gräfin aus der lieblichen Ortenau beklommen. Doch sie lauschte weiterhin gespannt den Worten des Kardinals.
»Augsburg, gleichsam die Wiege des Protestantismus und eine der mächtigsten Städte unserer Zeit, liegt Gustav Adolf bereits zu Füßen«, hörte sie den Ersten Minister Frankreichs mit Genugtuung sagen.
»Augsburg ist nicht nur ein Symbol des Ketzertums, nein, es ist unbestritten die Metropole Deutschlands; überdies ist die Stadt der Sitz der Hochfinanz. Hier haben die Handelshäuser der Fugger und Welser ihre Machtsysteme etabliert, die bis nach Südamerika reichen. In ihren Kontoren hat man bereits Fürstenthrone und Kaiserkronen verschachert.«
Mit wahrer Begeisterung hatte der sonst so nüchterne Kardinal das ausgesprochen; echter Leistung zollte er stets seinen Respekt.
»Schon im Jahr 1555 wurde der Augsburger Religionsfrieden verkündet, der allen Anhängern Martin Luthers Frieden, Besitz und ungehinderte Ausübung ihres Glaubens zusicherte. Doch Maximilian hat es fertiggebracht, in Augsburg eine katholische Minderheit an die Regierung zu bringen. Der Kurfürst zwang die Stadt, 5000 katholische Soldaten als Besatzer einzuquartieren.
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