Die Hexengraefin
Aber«, sagte der Kardinal und lachte unbändig, »diese bayerischen Söldner machten angesichts der schwedischen Übermacht nicht einmal den kleinsten Versuch, die Stadt zu verteidigen. Nach kurzer Kanonade kam es zu einem Kompromiss: freier Abzug für die Besatzer, friedlicher Einmarsch für die Eroberer.«
Die Gäste im Refektorium von Sainte Cathérine klatschten höflich Beifall.
»Als nun im April 1632 die schwedische Armee feierlich in Augsburg einzog, jubelten alle. Niemand hatte die Katastrophe von Magdeburg vergessen. Kein Städter fürchtet etwas so sehr wie eine plündernde und mordgierige Soldateska. In Augsburg – so habe ich gehört – verhalten sich die schwedischen Truppen aber mustergültig.«
Der Würdenträger in der roten Robe brach erneut in lautes Gelächter aus.
»Man bedenke, Mesdames«, wandte er sich an seine Zuhörerinnen, »schwedische und finnische Soldaten halten sogar Betstunden ab und singen Psalmen. Wie man mir berichtet hat, konnten sich die Bürgerinnen Augsburgs den Fremden nähern, um ihnen Speise und Trank zu bringen, ohne Angst haben zu müssen, der Geilheit ihrer Eroberer zum Opfer zu fallen.«
»Nun, Eminenz, wie man sieht, zahlt sich die finanzielle Unterstützung Frankreichs für den Schwedenkönig offenbar aus«, meinte die Äbtissin mit Genugtuung.
Madame des Anges war an Politik sehr interessiert – sie verstand es zumindest, diesen Eindruck beim Kardinal, der geschmeichelt lächelte, zu erwecken. Es war nur von Vorteil, sich diesen mächtigen Mann geneigt zu machen. Denn ohne sein Einverständnis und gegen seinen Willen zu handeln, kam in Frankreich politischem Selbstmord gleich. Dann war man ein Wurm, dem auch Freunde nicht mehr gegen die Fußtritte der Übrigen beistanden; stand man hingegen in Richelieus Gunst, erfuhr man überreiche Unterstützung von allen Seiten.
Nach einer Weile wandte sich das Gespräch anderen Themen zu, wie etwa dem des auf dem Scheiterhaufen verbrannten Abbé Simon Canfort, wobei die Äbtissin es nicht versäumte, dem Kardinal zu danken, sie von diesem Abgesandten der Hölle befreit zu haben.
»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, Monseigneur, was es bedeutet, Nacht für Nacht als hilflose Jungfrau den unzüchtigen Nachstellungen eines solchen Teufels ausgeliefert zu sein. Er hat mich und meine unschuldigen Mitschwestern gleichsam zu schamlosen Dirnen herabgewürdigt. Gegen diese satanische Übermacht waren wir armen, schwachen Frauen fast immer die Unterlegenen. Erst wenn es uns gelang, laut den Namen des HERRN zu rufen, pflegte sich der Spuk aufzulösen wie Rauch im Wind.«
Madame Angélique des Anges atmete schwer, ihr hübsches, schmales Antlitz war gerötet, ihr Busen unter der schwarzen Kutte wogte, und ihre dunklen Augen glänzten. Es war deutlich zu sehen, dass allein die Erinnerung an diese Erlebnisse sie noch sehr erregten …
Sie schluckte und seufzte und mit beinahe erstickter Stimme flüsterte sie, wobei sie fromm ihren Blick zum Himmel hob: »Ich wünsche meinem ärgsten Feinde nicht, dass er so etwas erleben muss.«
»Nun, Madame, der Prozess hat ja gezeigt, dass die Kirche sich auch solcher Feinde zu entledigen weiß, wenn sie es wagen, geweihte Personen zu belästigen«, sagte der Kardinal mit großer Befriedigung.
KAPITEL 67
DER FRÜHLING ERFASSTE DAS LAND mit Macht, allerorten sprießte und blühte es, und auch mit Hélènes Genesung ging es weiter aufwärts. Die völlige Lethargie war von ihr gewichen: Die junge Frau nahm erneut Anteil am Leben.
Sie sprach – wenn auch nicht viel -, und wenn sie redete, waren die Zuhörer von der Lebensklugheit in den Worten der jungen Frau überrascht. Weit über ihre Lebensjahre hinaus hatte sie Erkenntnisse gesammelt, welche viele selbst in hohem Alter noch nicht für sich in Anspruch nehmen konnten.
Der Preis, den sie für dieses Wissen hatte bezahlen müssen, war allerdings ein zu hoher gewesen …
Das Wichtigste aber war, dass sie bei ihrer körperlichen Erstarkung mitarbeiten konnte: Durch ein gezieltes Muskeltraining gelang es ihr allmählich, die Funktionen ihres rechten Armes wiederherzustellen, ein Umstand, der wesentlich dazu beitrug, ihr neuen Lebensmut einzuflößen.
Bald fand sie wieder Gefallen an Speis und Trank, sodass sie an Gewicht zunahm, weibliche Rundungen bekam, und der Rhythmus ihrer unreinen Tage sich auf Normalmaß einpendelte.
Da ihr einst so prachtvolles, blondes Haar längst wieder nachgewachsen war – die Kur mit dem Mark aus Rinderknochen
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