Die Hexengraefin
Ebenbild. Aber seine schöne Tochter hatte den Vorteil, ihre Gefühle zeigen zu können. Und das tat sie auch – obwohl es dem Grafen nicht immer gepasst hatte. Sie konnte unglaublich hartnäckig sein. Ferfried schmunzelte, als ihm einige Kostproben ihres Beharrungsvermögens einfielen.
Als Vater Ambrosius im Garten eintraf, war sein Herr eingeschlafen. Leise setzte der Mönch sich auf eine Steinbank daneben und schlug sein Brevier auf. Er würde Graf Ferfried in seinem Schlummer nicht stören.
KAPITEL 73
DIE FLUCHT DER DREI DAMEN aus dem Kloster ging leichter vonstatten, als sie es sich vorher ausgemalt hatten. Schmuck und Bargeld, eingenäht in die Rocksäume ihrer Kleidung, ihre botanischen Aufzeichnungen, nebst einem schmalen Bändchen über Arzneien und Heilmethoden sowie den Geleitbrief von Kardinal Richelieu, den sie dem Straßburger Bischof verdankten – Adelaide war so klug gewesen, ihn sogleich nach ihrer Ankunft in Sainte Cathérine zurückzufordern, obwohl ihn die Äbtissin gerne einbehalten hätte: Alles, was lebenswichtig für sie sein könnte, war gut verstaut.
Das Kräuterbuch und ihre eigenen Anmerkungen dazu lagen unter einem Tuch in einem Obstkorb, den Anne später in den Klostergarten tragen würde, indem sie vorgab, Erdbeeren pflücken zu wollen, welche an der Sonnenseite der Klostermauer gereift waren.
Die Comtesse hatte diejenigen Blätter mit den Aufzeichnungen einiger ganz neuer Erkenntnisse bezüglich der hier im Kräutergarten des Klosters wachsenden Heilpflanzen zusammengerollt und in einem ihrer Unterröcke mit Nadeln befestigt.
»Bis zur letzten Minute wollen wir so tun, als wäre alles wie immer«, hatte die Comtesse de Bréteuil den beiden anderen eingeschärft. »Wenn wir unser Verhalten auffällig ändern, machen wir uns nur verdächtig.«
So hatte Adelaide morgens ganz normal ihren Dienst in der Krankenstation angetreten, während Demoiselle Hélène sich nach dem Frühmahl wieder hingelegt hatte – wie sie es immer tat. Anne Larousse hatte ihre Herrin nach drei Stunden im Siechenhaus abgelöst, die Gräfin hatte sich in ihrer Zelle umgezogen und war anschließend mit einem Gebetbuch in der Hand im Kreuzgang des Klosters meditierend hin- und herspaziert.
Das tat sie sehr oft, wenn sie nachdenken wollte und niemand sie dabei stören sollte. Die Nonnen waren alle beschäftigt, sei es in der Küche, in der Krankenabteilung, im Pilger- oder Gästehaus, sei es, dass sie in der Kapelle beteten oder im Gemüsegarten tätig waren. Bald war Mittagszeit und alle würden im Refektorium zusammenkommen.
Auch die Flüchtlinge würden heute ein letztes Mal an der schlichten Mahlzeit teilnehmen. Es war Freitag und die Nonnen begnügten sich in der Regel mit Wasser, einem Stück Brot und einem Teller Fischsuppe.
»Wenn wir alle drei beim Essen fehlen, fällt das auf«, hatte Adelaide gemeint, »aber du, Leni, kannst ruhig schon in den Garten zu der bestimmten Stelle vorausgehen. Ich werde dich bei der Mutter Oberin entschuldigen. Du hast meistens unregelmäßig gegessen, und niemand wird sich über dein Fehlen Gedanken machen.«
In Kürze würde die Glocke alle Klosterinsassinnen ins Refektorium rufen. Da wurde auf einmal die übliche Routine unterbrochen. Eine der jüngeren Klosterfrauen eilte auf Adelaide zu und bat sie, mitzukommen. Im ersten Augenblick drohte das Herz der Gräfin stillzustehen. ›Alles ist verraten‹, dachte sie, ›diese verflixte Schwester Madeleine‹.
»Die Ehrwürdige Mutter bittet Madame la Comtesse ganz herzlich, ins Gästehaus zu kommen. Es ist überraschender Besuch angekommen und …«
Sie atmete auf. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Im Gästehaus stiegen nur die vornehmen Besucher ab, die einfachen Leute wurden ins Pilgerhaus verfrachtet. Es musste sich wirklich um einen ganz besonderen Gast handeln, wenn Madame des Anges sich bemüßigt fühlte, ihm die Gräfin vorzustellen.
Die Äbtissin tat sich auf ihre Gastfreundschaft reichlich viel zugute. Bei jeder Gelegenheit wies sie auf ihre Güte und Barmherzigkeit »den Mühseligen und Beladenen« gegenüber hin, verstand es aber zugleich, die häufige Anwesenheit hochgestellter Besucher gebührend herauszustreichen. Wenn man allenthalben ihr Lob sang, drang dies gewiss bis zum Ohr des Ersten Ministers Richelieu oder gar bis zu jenem des Königs. Und das konnte ja nicht schaden.
»Wie bitte, Madame?«
Adelaide hatte nicht zugehört, was die neben ihr hergehende Nonne gesagt hatte.
»Ich habe Euch den
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