Die Hexengraefin
finde ich auch«, pflichtete Hélène lebhaft bei, und Anne wurde ein wenig verlegen. »Wenn ich auch im Fall der Mutter Oberin widersprechen muss: Immerhin will sie mich vor Gericht zerren. Wahrscheinlich hat sie uns nur auf starken Druck von oben in Sainte Cathérine Asyl gewährt.«
»Natürlich, ich weiß«, gab Anne kleinlaut zu. »Ich will ja auch nicht jammern, aber ich halte es hier einfach nicht mehr länger aus. Der ständige Geruch von Weihrauch, der Anschein von Heiligkeit und die immer versteckt vorhandene Bereitschaft zu Nervenzusammenbrüchen all dieser angeblich so keuschen Weiber machen mich ganz kribbelig.«
»Nicht mehr lange, ma Chère, nicht mehr lange«, sagte die Comtesse und lachte. Auch Hélènes Gesicht hellte sich auf.
Adelaide war sich bewusst, dass sie die Anführerin der kleinen Gruppe war und bleiben würde und dass die beiden auf sie zählten. Sie hatte für Zuversicht zu sorgen, und ihre Aufgabe war es, sie heil wieder nach Hause zu bringen – so es denn GOTTES Wille wäre.
»Bald schon verlassen wir Sainte Cathérine, meine Lieben. Und dann werden wir weitersehen«, fügte sie mit heiterer Gelassenheit hinzu.
KAPITEL 72
»WENN ICH DICH NICHT HÄTTE, Salome – ich wüsste nicht, was aus mir werden sollte.«
»Aber, Herr, ich tue doch nichts Besonderes. Das macht doch jede Frau für den Mann, den sie gern hat.«
Salome Bürgi, die ehemalige »Venusdienerin« und jetzige Haushälterin auf Schloss Ruhfeld, war beim Lob des Grafen rot angelaufen. Sie freute sich sichtlich über Ferfrieds Anerkennung ihrer Bemühungen.
»Lass nur, Sali. Ich weiß, was ich an dir habe. Nicht jede täte für mich, was du tust. Das weiß ich zu schätzen, glaub mir.«
Liebevoll breitete die Siebenunddreißigjährige mit dem derben, aber gutmütigen Gesicht und der mütterlichen Figur eine wollene Decke über die Knie ihres in seinem Lieblingssessel sitzenden Herrn.
Ferfried wollte es ihr anfangs verwehren, aber Salome bestand darauf. »Es ist zwar schon warm, Herr; sogar ungewöhnlich heiß für den Monat Mai, aber da Ihr im Schatten sitzt und nicht in der prallen Sonne, könnte Euch schnell kalt werden. Und das müssen wir vermeiden, hat Euer Medicus gesagt.«
»Du bist so fürsorglich, das tut mir richtig gut. Schon lang hat sich niemand mehr so um mich gekümmert, wie du es tust, Sali.«
»Aber, Herr, wie denn auch? Es ist ja keiner mehr da, der es zu tun vermag.«
Da hatte sie etwas Wahres gesagt. Die einzige Tochter, seine über alles geliebte Adelheid, lebte in einem Kloster in Frankreich, sein einziger Sohn, Graf Hasso, war bei den Truppen des Kaisers irgendwo im Reich, und seine Schwiegertochter, Gisela von Württemberg, befand sich wieder daheim bei ihren Eltern, wo sie der Geburt ihres ersten Kindes entgegensah.
Die Tatsache, dass sie so schnell schwanger geworden war, hatte den alten Grafen einigermaßen mit der Tatsache versöhnt, dass die junge Frau eine Jammerliese war, ohne jede Courage. Welch ein Gegensatz zu seiner resoluten Adelheid …
Den Ehemann so kurz nach der Hochzeit in den Krieg ziehen zu lassen, war sicher sehr hart; aber dieses Schicksal traf in diesen Zeiten viele adelige Damen. Aber wenn Ferfried an das Benehmen seiner Schwiegertochter Gisela dachte, konnte er nur den Kopf schütteln. Wie ein kleines Kind hatte sie sich heulend an ihren Gatten geklammert, hatte geschrien und mit den Füßen aufgestampft, bis schließlich Vater Ambrosius eingeschritten war.
»Ihr macht es Eurem Gemahl nicht gerade leicht, junge Herrin«, hatte der Benediktiner sie getadelt und versucht, ihre Arme, die sie um den Hals Hassos geschlungen hatte, sanft zu lösen.
Da aber war die Jungvermählte wie eine Furie auf den Mönch losgegangen und hatte geplärrt: »Wie könntet Ihr mich denn jemals verstehen? Ihr, die Ihr niemals die Freuden ehelicher Liebe gekostet habt, Pater?«
Hasso war hilflos dagestanden, offensichtlich unfähig, sein Weib zur Räson zu bringen.
Das Gesinde hatte im Schlosshof um die Hauptakteure des Spektakels herumgestanden und diesen Auftritt sichtlich genossen.
Um nun der Sache, die langsam peinlich geworden war, ein Ende zu bereiten, hatte ihr Schwiegervater sich in seinem Sessel mühsam aufgerichtet und hatte laut und – trotz seiner Sprachbehinderung durch einen Schlagfluss – sehr vernehmlich gerufen: »Reißt Euch endlich zusammen, Schwiegertochter«. »Euer Mann ist schließlich ein Ritter und kein Bauer. Und wenn Euch ohne ihn kalt im Bett sein
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