Die Hexengraefin
»Ihr wart nicht da – also konnte man Euch auch nicht benachrichtigen. Setzt Euch wieder hin, dann werde ich Euch den genauen Sachverhalt explizieren.«
Ermattet sank der Munzinger auf seinen Sessel zurück und rückte sich die verrutschte Perücke zurecht. Das wurde ja immer schöner.
»Der Hagenbusch, der ja wahrlich kein Idiot ist, muss etwas von der geplanten Verhaftung seines Eheweibes geahnt haben und so hat er vorsorglich, also noch ehe irgendjemand Hand an die Walburga gelegt hatte, Zuflucht zur juristischen Fakultät in Straßburg genommen. Diesen gelehrten Herren – allesamt gute Bekannte des Bischofs -, die sich eine Menge auf ihre Intelligenz und Urteilskraft zugutehalten und sich nach eigenen Angaben über den ›Aberglauben unserer Zeit‹ erheben, hat er genau die Sachlage geschildert und dazu seine Befürchtung, dass missgünstige Zeitgenossen seine Frau bei den Gerichtsbehörden zu Unrecht anschwärzen könnten. Dem wollte der Schlauberger zuvorkommen. Und es ist ihm voll gelungen. In Eurem Amte, Munzinger, muss ein Verräter sitzen, denn der Jakob hat genau die angeblichen Zeugen und ihre albernen Vorwürfe angegeben, deren Ihr Euch nachher in der Tat bedient habt.
Da war einmal das fremde Bettelweib, welches der früheren Schultheißin die Bezauberung ihres Kindes vorgeworfen hatte. Die Juristen in Straßburg erklärten dazu in ihrem Gutachten: ›Auf die Aussagen der Bettlerin hin kann man die Frau nicht in Haft nehmen. Es wäre besser, die ungebildeten Leute zu belehren, dass nicht jede Krankheit ein Werk des Teufels sei.‹
Des Weiteren hatte man dem Walburga vorgeworfen, sie müsse eine Hexe sein, weil sie sich in der Kirche ›merkwürdig‹ benehme.
Die Gelehrten in der Bischofsstadt meinten dazu: ›Ganz ungereimt ist auch, dass der Pöbel sie deswegen für eine Hexe hält, weil sie in der Kirche beim Beten nicht wie andere Weiber die Lippen bewegt.‹
Und schließlich meinten die Herren der juristischen Fakultät noch, dass sich Frau Walburga Hagenbusch aus Reschenbach eines guten Rufes erfreue, als Eheweib und Mutter, genau so wie als Vorsteherin ihres Hauswesens. Und wenn sie sich auch manchmal ein wenig wunderlich gebärde, müsse man dies ihren angegriffenen Nerven zugutehalten. Und was Euren letzten Vorwurf anbelangt, sie habe öfters gesagt, sie wolle sich das Leben nehmen, so wäre dies aus Melancholie geschehen und aus Kummer über das traurige Schicksal ihrer einzigen Tochter.
Und den allerletzten Satz des Gutachtens der gelehrten Herren aus Straßburg solltet Ihr Euch, verehrter Herr Richter Munzinger, ganz besonders zu Herzen nehmen. Er lautete nämlich: ›Man möge die arme Frau endlich in Ruhe lassen.‹«
Bertold Munzinger war am Boden zerstört. War denn das die Möglichkeit? Und das Schlimmste: Alles war hinter seinem Rücken vonstattengegangen.
Dass Angehörige von Angeklagten hin und wieder während eines Malefizprozesses das Reichskammergericht in Speyer oder neuerdings in Wetzlar anriefen, das war er schon gewohnt, und das störte ihn auch nicht sonderlich. Die Richter dort waren nicht die Fleißigsten und verschleppten in aller Regel ihre Gutachten so lange, bis die Übeltäter längst unter der Folter alles gestanden hatten und oft genug schon auf dem Schindanger vergraben lagen, ehe ein Urteil aus Speyer oder Wetzlar seinen Weg in die Ortenau fand.
Aber jetzt dieses schlaue Vorgehen des Jakob Hagenbusch: Kaum hatte er Verrat gewittert, hatte sich der anmaßende Kerl nach Straßburg gewandt und von diesen im Glauben und in der Rechtsauffassung lauen und nachlässigen Schweinen auch noch Rückendeckung erhalten.
Munzinger knirschte mit den Zähnen und unterdrückte einen alles andere als feinen Fluch, ehe er sich an seinen lauernden Gesprächspartner Veigt wandte. Dem bereitete die peinliche Situation offensichtlich Vergnügen; etwas, was den düpierten Richter schier zur Weißglut brachte. Am liebsten hätte er dem überheblichen Landvogt ordentlich die Meinung gesagt, aber im letzten Augenblick riss er sich zusammen. Er würde sich nur noch mehr schaden.
»Na ja, dann hat ja offenbar alles seine Ordnung. Wenn nach Meinung der schlauen Herren in Straßburg die Beweise gegen eine Hexe nicht ausreichen, dann soll sie meinetwegen frei herumlaufen und weiter ihren gottlosen Zauber betreiben – mir soll’s recht sein«, sagte er schließlich hochtrabend.
»Es scheint, Munzinger, Ihr habt mir nicht richtig zugehört – oder wolltet Ihr mich nicht
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