Die Hexengraefin
als lausche sie auf irgendetwas, das nur sie hören konnte. Doch das Schlimmste war: Sie sprach kein einziges Wort.
»Das gibt sich mit der Zeit«, hatte der Doktor zwar versichert, aber die alte Hebamme hatte zweifelnd den grauen Kopf geschüttelt. Nein, das Elsbeth glaubte nicht mehr daran.
»Das dauert schon viel zu lange«, sagte die Wehmutter. »Jetzt, wo ihr Armknochen gut zusammenzuwachsen scheint, der Rücken und die Wunden an ihren Händen und Beinen mehr oder weniger geheilt sind, müsste sie wenigstens einmal ein Wörtchen von sich geben. Weil sie das noch nicht getan hat, glaube ich nicht, dass sie noch einmal den Mund auftun wird.«
Helene Hagenbusch hatte sich in den drei Wochen, die sie nun im Geheimen auf Schloss Ruhfeld gepflegt worden war, körperlich erstaunlich gut erholt. Sogar ihre wunderschönen, honigblonden Haare begannen wieder zu wachsen, nachdem ein älterer Stallknecht seiner jungen Herrin Adelheid ein in der Tat sehr effektives »Geheimrezept« verraten hatte: Frisches Mark aus Rinderknochen auf die geschundene Kopfhaut aufgebracht, hatte Wunder gewirkt.
»Das verdankt sie der aufopferungsvollen und kompetenten Versorgung durch dich, mein Kind«, sagte Graf Ferfried zu seiner Tochter, »sowie ihrer Jugend, die imstande ist, auch mit solchen Verletzungen fertig zu werden. Schlimmer ist es leider um ihren Verstand bestellt, aber das müssen wir dem HERRGOTT überlassen. Vielleicht ist er bereit, ihr diesen wiederzugeben.«
»Pater Ambrosius, Ursula und ich beten jeden Tag für sie, Vater. Ich gebe die Hoffnung nicht auf – im Gegensatz zu meinem Bruder.«
Es klang verbittert, was die junge Gräfin da äußerte, aber es entsprach der Wahrheit: Hasso von Ruhfeld hatte sich im Herzen von seiner Liebsten während dieser Tage und Wochen immer mehr entfernt.
Von seiner Schwester zur Rede gestellt, weil er sich nur selten im Krankenzimmer hatte blicken lassen und sich mit Ausflüchten herauszureden versuchte, hatte Adelheid ihm auf den Kopf zugesagt, dass er Helene nicht mehr liebe.
»Gib es ruhig zu, Hasso. Ich habe es wohl bemerkt, mit welch geheimem Abscheu und Ekel du ihre Blessuren betrachtet hast. Ich kann es dir nicht einmal übel nehmen, obwohl ich es aufrichtig bedauere. Es scheint doch so zu sein, dass Männer in erster Linie mit den Augen lieben. Und diese deine Augen können unter der hässlichen, zerstörten Schale das gute Herz und den frommen Sinn meiner lieben Schwester nicht mehr erkennen. Das ist sehr schade.«
Es war die Wahrheit. Helene Hagenbusch hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem begehrenswerten, fröhlichen und lebhaften Geschöpf von ehedem. Es lag nicht allein an ihren Haaren, die noch wie Igelstacheln von ihrem blassen, mit Narben übersäten Kopf in alle Richtungen abstanden.
Diese Narben waren Überbleibsel der Rutenstreiche, die nicht nur ihren nackten Rücken zerfleischt hatten. Die Henkersknechte hatten nicht darauf geachtet, wohin sie trafen …
Ihr rechter Arm war ein ganz klein wenig schief zusammengewachsen – irgendwie waren Elle und Speiche nicht mehr an jenem Platz, den die Natur dafür vorgesehen hatte, und ihre Hände würden noch längere Zeit verunstaltet bleiben: Die zerquetschten Fingerkuppen mit den herausgerissenen Nägeln, die erst nach Wochen oder Monaten nachwachsen konnten, sahen abstoßend aus.
Und ihr Körper war jetzt zum Skelett abgemagert, weil sie so gut wie keine Nahrung zu sich nahm. Überall trug sie noch Narben als bleibende Andenken an die Fesselung sowie die Schläge mit der Weidenrute und die Peitschenhiebe. Es würde lange dauern, bis man nichts mehr davon sehen würde. Nach Adelheids Ansicht waren es diese Verletzungen, welche den Ausschlag gegeben hatten für Hassos Widerwillen.
›Vielleicht ist es sogar besser so, dass er sie nicht mehr zur Frau haben möchte‹, dachte sie. ›Wer weiß, womöglich will auch das Helen nie mehr einen Mann haben? Nach dem, was man ihr angetan hat, wäre es schon zu verstehen.‹
Ihr Bruder war wenigstens so ehrlich gewesen, ihr nicht zu widersprechen. Diese Aufrichtigkeit hatte Adelheid etwas mit der Tatsache versöhnt, dass der junge Mann so schnell sein Herz von Helene abgewendet hatte.
Seufzend wandte sie sich dem Packen einiger weniger Habseligkeiten zu. Sie würde sich sehr mit dem Gepäck beschränken müssen, das sie über den Rhein mitzunehmen gedachte.
Denn morgen, in aller Herrgottsfrühe, noch vor dem ersten Hahnenschrei, würde sie sich mit ihrer Freundin und nur
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