Die Hexengraefin
Gegend zu Hilfe zu holen. Aber wenn es so schlecht steht, werde ich persönlich zu Doktor Ohngleich reiten und ihn holen. Eine Ausrede wird mir schon einfallen, damit seine Nachbarn nicht misstrauisch werden.«
»Ja, tu das, mein Lieber. Und setze ihn gleich vom Verhalten des Helen in Kenntnis«, bat ihn die verzweifelte, junge Frau.
Hasso nahm den loyalen und verschwiegenen Wilhelm von Kirchhofen mit. Als die beiden das Häuschen des sechzig Jahre alten Wendelin Ohngleich – seit Jahrzehnten Leibarzt des Grafen – erreichten und den alten Arzt, der sich bereits zur Ruhe begeben hatte, mit ihrem Klopfen geweckt hatten, war der Mann sofort bereit, nachdem er wusste, worum es sich handelte, sich auf sein Pferd zu schwingen und zum Schloss zu reiten.
Schweigend hatte er sich den Bericht des Grafensohns angehört und dementsprechend seine Tasche mit verschiedenen Salben, Tinkturen und Pillen sowie einer Menge an sauberem Verbandmaterial vollgepackt.
Doktor Ohngleich schien keineswegs überrascht zu sein, hatte er doch die junge Frau gleich zu Anfang ihres Leidensweges im Turm gesehen und mit weiteren widerlichen Gräueltaten des Scheible gerechnet.
Wenn den Medicus etwas verwunderte, dann war es die Tatsache, dass man es geschafft hatte, das arme Geschöpf aus dem Kerker zu befreien. Aber er behielt sein Erstaunen für sich, weil er ahnte, dass es besser war, nicht zu viel darüber zu wissen.
»Ich bin der Meinung, man sollte das Elsbeth, die Hebamme, gleichfalls hinzuziehen, Herr. Ein Teil der Verletzungen der jungen Frau scheinen mir von jener Art zu sein, die des Wissens und der Erfahrung einer weisen Frau bedürfen«, sagte der alte Mann, als er sein Pferd sattelte, ehe sie nach Schloss Ruhfeld aufbrachen.
»Diesen kleinen Umweg können wir sicher verantworten, wenn Ihr glaubt, dass Ihr die Unterstützung der erfahrenen Frau Liebig gebrauchen könnt, Doktor«, sagte Hasso, der über jede Art Hilfe, die er bekommen konnte, froh war. Wie eine zentnerschwere Last empfand er das Bild des Jammers, welches seine vordem so bildhübsche, lebensfrohe Liebste geboten hatte.
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und es war nicht leicht, in der totalen Finsternis zum Haus der Hebamme zu gelangen, wenngleich ein bleicher Halbmond am Himmel stand, der den Reitern wenigstens einen kleinen Lichtschein gönnte und der es ihren Pferden ermöglichte, den schmalen Pfad entlangzutraben, ohne sich die Beine in den Unebenheiten des Weges zu brechen.
Die alte Wehmutter war noch wach und packte wie der Arzt allerhand Dinge in ihre Tasche, als Hasso ihr Bescheid gesagt hatte.
»Das arme Ding«, flüsterte sie mehrmals und ließ sich dann vom jungen Wilhelm vor sich auf dessen Pferd nehmen. So schnell es in der Nacht ging, war die kleine Gruppe in Richtung Schloss geritten, wo im Hof bereits Adelheid und Pater Ambrosius ungeduldig warteten, während Ursula am Bett wachte.
»Sie atmet kaum noch und ist entsetzlich schwach.«
Die Hebamme war der jungen Gräfin gefolgt und betrat schweigend das Gemach, wo Helene bereits ins Jenseits hinüberzudämmern schien.
»Begebt Euch jetzt zur Ruhe, edles Fräulein«, bat der Doktor, »Ihr könnt uns hier nicht helfen. Falls der Schlaf Euch flieht, nehmt Zuflucht zum Gebet, aber denkt daran, niemandem ist gedient, wenn auch Ihr krank werdet.«
»Der Medicus hat recht, Adelheid«, stimmte Hasso zu und nahm seine Schwester energisch an der Hand. »Komm, meine Liebe, du musst deine Kraft für eine wichtigere Aufgabe aufsparen. Versuche etwas zu schlafen. Wenn es etwas Neues gibt, wecke ich dich.«
Während des gesamten Tages und bis in die Nacht hinein hatte man nach den verschwundenen Wachsoldaten und dem Schinderkarren gesucht, der die drei Hexen nach Kappelrodeck hatte bringen sollen. Bereits am nächsten Morgen in aller Frühe ging die Suche weiter.
Also war Bertold Munzinger nichts anderes übrig geblieben, als den Landvogt, Maximilian Veigt, vom unerklärlichen Verschwinden der Hexen und ihrer Begleitmannschaft zu unterrichten.
Der Vogt war außer sich. »Wie konnte das geschehen?«, fragte er, krebsrot vor Wut. »Wie können sechs bewaffnete Wachleute und ein Karrengaul samt Wagen mit einer Fuhre von drei Weibern einfach verschwinden? Wollt Ihr mir vielleicht weismachen, dass der Teufel sie alle miteinander geholt hat?«
Veigt schien kurz vor einem Schlaganfall zu stehen.
»Ich will Euch überhaupt nichts weismachen«, verwahrte sich beleidigt der Oberste
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