Die Hexengraefin
in Begleitung von Ursula und dem jungen Wilhelm von Kirchhofen nach Straßburg aufmachen.
KAPITEL 38
DER ABSCHIED VON HASSO war Adelheid nicht leichtgefallen. Der junge Edelmann hatte es sich nicht nehmen lassen, seiner Schwester und der ehemaligen Liebsten das Geleit zu geben. Er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass der Fährmann sie, gemäß der teuer bezahlten Abmachung, sicher über den Rhein brächte.
»Ich traue niemandem mehr«, sagte er. »Den Glauben an die Anständigkeit der Menschen habe ich in den letzten Wochen so ziemlich verloren. Die meisten sind gemeine Bestien, denen Ehre und Anstand weniger gelten als der Dreck unter ihren Fingernägeln.«
Adelheid hatte darauf nichts zu erwidern gewusst. Die Neunzehnjährige war in dieser Zeit zur erwachsenen Frau gereift.
Die Sorge um einen geliebten Menschen, den sie von der Schwelle des Todes gemeinsam mit ein paar aufrechten Menschen zurückgeholt hatte, war es gewesen, die diesen schmerzlichen Reifeprozess bewirkt hatte.
Trotz der gefahrvollen Zeiten mit Kampf, Verwüstung und schweren Seuchen, den treuen Begleitern aller Kriege, denen man mit Sicherheit in allernächster Zukunft auch in der Ortenau entgegensah, hatte sie bisher mit ihrem Bruder in einem vergleichsweise sicheren Paradies gelebt, durch ihren Vater behütet und beschirmt und durch ihre adlige Geburt geschützt.
Allein durch ihre privilegierte Stellung war ihr das Überleben trotz aller bevorstehenden Gräuel so gut wie sicher – aber was würde aus den vielen anderen? Den einfachen Leuten, zu denen auch Helene und ihre Familie zählten?
Adelheid schauderte und zwang sich, den Gedanken beiseitezuschieben. Sie musste ihren Mut und ihren Verstand zusammennehmen, um das Kommende zu meistern. Sie gab sich keineswegs der Illusion hin, ihr geistlicher »Verwandter« wäre angesichts der Zumutung begeistert, eine seinem Gericht Entlaufene zu beherbergen. Noch dazu bei dieser Art der Anklage …
Soviel sie von ihrem Vater erfahren hatte, besaß der hohe Kirchenmann eine gewisse leichtlebige Art, Intelligenz, Humor und ein unkonventionelles Verhalten – ja, er galt in seiner Extravaganz sogar als amüsant und war Amüsements nicht abgeneigt. Alles Eigenschaften, die ihn von den anderen Habsburgern unterschieden, denen man Verschlossenheit, Engstirnigkeit und einen Hang zur Bigotterie nachsagte. Trotzdem war er ein Mann seiner Zeit und dazu ein Sohn der katholischen Kirche, wenngleich nicht der allerfrömmste …
Der Fährmann hatte bereits ungeduldig auf seine Passagiere gewartet, und die Gräfin wollte den unumgänglichen Abschied nicht über Gebühr ausdehnen. Zum Glück waren zu dieser frühen Stunde – kurz nach Sonnenaufgang – noch keine anderen Reisenden an der Landungsstelle eingetroffen.
Sie umarmte ihren Bruder, küsste ihn innig – wer konnte sagen, ob und wann sie sich wiedersahen – und wollte dafür sorgen, dass Helene, die noch sehr schwach auf den Beinen war, sicher auf das Fährboot gelangte.
Aber da musste sie sich keine Gedanken machen: Wilhelm trug das teilnahmslose Mädchen auf die Fähre, wo er es behutsam auf einem Gepäckbündel niedersetzte.
Adelheid hatte den umwölkten Blick des jungen Grafen bemerkt und ihm tröstend zugeflüstert: »Sei nicht traurig, lieber Bruder. Sie kennt dich nicht mehr, wie sie keinen von uns kennt. Sie lebt in einer ganz anderen, eigenen Welt. Vielleicht ist es sogar besser so.«
Die drei Reitpferde waren sehr unwillig auf die Fähre gegangen. Kein Wunder: Das Wetter war böig, und der Rhein schlug Wellen, was den Tieren offenbar Angst einflößte. Hasso sah es mit Unbehagen, aber was hätte er tun können?
Er gab dem Fährmann das Zeichen zum Ablegen und der senkte seine Flößerstange, um sie knapp oberhalb der Wasserlinie in den gehärteten Uferschlamm zu rammen. In wenigen Augenblicken befand sich die Fähre mitten im Fluss, und Hasso blieb nur noch, den Abfahrenden ein letztes Mal zuzuwinken.
»GOTT sei mit euch«, flüsterte er, und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, sobald er an die ruinierte Gesundheit seiner ehemaligen Liebsten und an ihre – für immer, wie er glaubte – zerstörte Schönheit dachte. Er wischte sich eine Träne von der Wange, ehe er rasch sein Pferd umwandte und zurückritt.
Es hatte einiger Auseinandersetzungen mit dem alten Grafen bedurft, ehe Hasso bereit gewesen war, einzusehen, dass es besser war, wenn Adelheid die Begleitung des Helen übernahm.
Obwohl seine
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