Die Hexenjagd
dem Tisch stand Geschirr mit halb aufgegessenen Mahlzeiten. Die Laptops waren aufgeklappt. Laurels Nachttischlampe brannte noch, ebenso wie das Licht im Badezimmer.
Cassie legte das Buch ihres Vaters beiseite und spürte einen Kloß in der Kehle. »Wo können sie nur hingegangen sein?«, fragte sie, unfähig, die Sorge, die an ihr nagte, in Worte zu fassen: Wenn ihre Freunde entdeckt worden waren, hatte man sie wahrscheinlich getötet.
»Die Jäger sind mit Sicherheit nicht hier hereingekommen.« Adam versuchte, Ruhe zu bewahren, und sah sich prüfend um. »Sie müssen beim Rest des Zirkels sein. Schick Diana eine SMS .«
Cassie stöberte in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Auf dem Weg nach Stockbridge hatte sie es lautlos geschaltet und danach völlig vergessen, den Klingelton wieder einzustellen. Jetzt sah sie, dass eine Reihe dringender SMS eingegangen waren, größtenteils von Nick.
Nervös überflog sie die Nachrichten. »Faye hat sich auf die Suche nach dem Direktor gemacht«, berichtete sie Adam. »Und die anderen jagen hinter ihr her, um sie daran zu hindern, etwas Dummes zu tun.«
»Zu spät.« Adam schlug mit der Hand auf den Tisch. »Dieser grob übersetzte Hexenjägerfluch wird niemals funktionieren.«
»In der letzten SMS steht, dass sie auf dem Weg zur Schule wären.« Cassie stopfte ihr Handy wieder zurück in die Tasche. »Sie ist vor zwanzig Minuten abgeschickt worden.«
Ohne ein weiteres Wort eilten sie nach oben. Cassie spürte, wie ihr heiß wurde und ihr Magen sich verkrampfte. Sobald sie in Adams Auto saßen, versuchte sie, tief durchzuatmen, aber es hatte keinen Sinn.
Mit wild entschlossenem Gesichtsausdruck trat Adam aufs Gas. Cassie beobachtete, wie der Tacho hochging. Er war schon bei neunzig Meilen die Stunde, aber es fühlte sich immer noch nicht schnell genug an. Wenn sie nicht rechtzeitig zur Schule kamen… Cassie wollte gar nicht daran denken.
Aber sie musste daran denken, denn sie musste sich auf jegliche Art der Konfrontation vorbereiten. Cassie würde kämpfen, selbst wenn ihre Freunde bereits tot sein sollten.
Kapitel Zwanzig
Als sie die Schule endlich erreicht hatten, wussten Adam und Cassie nicht, wo sie zuerst zu suchen anfangen sollten. Der Himmel war mitternachtsschwarz, aber die Sicherheitsbeleuchtung erhellte das gesamte Areal gut genug, um es überblicken zu können. Vom Parkplatz aus nahmen sie die leeren Tribünen und das verlassene Footballfeld in Augenschein. Sie checkten die Mauern des Gebäudes und den Außenflügel, wo sich das Büro des Direktors befand.
»Denkst du, sie sind drinnen?«, fragte Cassie. »Vielleicht sollten wir uns aufteilen.«
»Dort oben«, antwortete Adam. »Ich glaube, das sind sie.«
Cassie nahm eine Bewegung auf dem Dach wahr, kaum sichtbare Schatten, aber die Stimmen hallten gedämpft bis zu ihnen herunter. Sie versuchte, ihre Angst zu verdrängen und die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Die Stimmen deuteten darauf hin, dass der Kampf noch nicht zu Ende war.
Adam eilte zu der rostigen Feuerleiter an der Seite des Gebäudes, Cassie dicht hinter ihm. Sie dämpften ihre Schritte, als sie sich dem Dach näherten. Dort entdeckten sie Diana, Melanie, Chris, Doug und Sean, die sich hinter dem Metallgeländer versteckten.
Als Diana sie bemerkte, legte sie einen Finger auf die Lippen und winkte sie zu sich und den anderen heran, von wo aus Cassie und Adam das Geschehen auf dem Dach beobachten konnten. Es war ein faszinierender und zugleich erschütternder Anblick.
Nick, Faye, Laurel, Deborah und Suzan hatten sich zu einem Verteidigungskreis zusammengeschlossen. Sie schienen in der Falle zu sitzen, völlig machtlos, als hätte man sie in einen Käfig gesperrt. Die Symbole glühten hell auf ihrer Brust, als ob ihre Herzen schillernd über ihren Kleidern schlagen würden.
Die Hexenjägersymbole müssen in Anwesenheit der Reliquien schimmern, ging es Cassie durch den Kopf. Drei Jäger hatten die Gruppe umstellt, und jeder von ihnen hielt einen grauen Stein in der Hand, in den das schreckliche Zeichen gemeißelt war.
Der Direktor, ein weiterer Mann und eine Frau– aber wo war Max? Cassie fragte sich, ob Diana etwas mit seiner Abwesenheit zu tun hatte. Doch für Fragen blieb keine Zeit.
Der andere Mann war bereits älter, um nicht zu sagen hochbetagt. Er hatte langes weißes Haar und Augen wie Eis. Die Frau schien ungefähr so alt wie Cassies Mutter zu sein. Sie war spindeldürr, hatte mausbraunes Haar und braune Augen, aber die
Weitere Kostenlose Bücher