Die Hexenjagd
Boylan wurde sichtlich schwächer. Seine Schultern sackten nach unten und seine für gewöhnlich starre aufrechte Haltung rundete sich wie zu einem Fragezeichen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und sein ganzer Körper zitterte vor Anstrengung.
Jedediah ging in die Knie und begann, zu der Dachluke zu kriechen, die ins Schulgebäude hinunterführte.
»Lassen wir sie frei!«, schrie Louvera mit letzter Kraft. Sie stieß einen erstickten Laut aus und schleppte sich in die gleiche Richtung wie ihr Vater, dann ließ sie sich durch die Luke in Sicherheit gleiten.
Aber der Direktor weigerte sich aufzugeben. Unablässig wiederholte er den Fluch und hielt seine Reliquie fest umklammert, während er auf die Knie fiel.
Da trat Cassie aus ihrem Versteck heraus und richtete ihre Worte direkt an ihn. Ohne Cassie zu bemerken, versuchte er, sich aufzurappeln, sackte aber erneut zusammen.
Die markierten Zirkelmitglieder jedoch kamen langsam eines nach dem anderen wieder auf die Beine. Zuerst Faye und Laurel, dann Nick und Suzan und schließlich Deborah. Sie alle schüttelten den Schmerz ab, der sie noch Sekunden zuvor entkräftet hatte.
Während Mr Boylan immer schwächer wurde, spürte Cassie, wie ihre magische Kraft wuchs, als saugte sie seine Macht aus und direkt in sich selbst hinein. Sie beobachtete, wie er vor ihren Augen immer kleiner wurde und nur mehr ein feiges Keuchen von sich gab. Dann umklammerte auch er seine Brust und schrie auf. Aber Cassie verspürte nicht das geringste Mitleid. Selbst wenn er an Ort und Stelle langsam sterben würde, würde sie nichts unternehmen, um seinen Tod zu verhindern.
Mit letzter Kraft schaffte er es, sich noch einmal aufzurappeln. Er taumelte hin und her, immer noch unsicher, woher der Widerstand eigentlich kam. Schließlich konzentrierte er all seine verbliebene Energie auf Faye und rief ein letztes Mal, so laut er konnte, den tödlichen Fluch.
Ehe Faye reagieren konnte, sprang Suzan vor sie hin und zerrte sie aus dem Weg zu Boden.
Völlig verausgabt, trat Boylan endlich den Rückzug an. Schlurfend schleppte er sich ebenso wie vorher Jedediah und Louvera quer über das Dach auf die Luke zu.
Cassie folgte ihm, während sie immer und immer wieder den dunklen Zauber sprach.
»Cassie!«, rief Adam warnend. »Er hat genug abbekommen. Es reicht.«
Aber Cassie konnte nicht aufhören– die Worte flossen wie von allein über ihre Lippen. Und sie wollte auch nicht, dass es endete.
Da packte Adam sie an den Schultern und schüttelte sie heftig. »Schluss jetzt!«, rief er, gerade als Mr Boylan sich durch die Dachluke fallen ließ. »Die Jäger sind weg.«
Benommen schaute Cassie sich um, als habe sie sich in einem langen dunklen Tunnel verirrt und erblicke nun zum ersten Mal wieder Tageslicht.
Da waren Chris und Doug und Sean und Melanie und trotz ihres getrübten Blickes konnte Cassie das Hexenjägersymbol auf ihren Kleidern schimmern sehen. Jeder von ihnen war markiert worden. Als Cassie sich zu Diana umdrehte, sah sie, dass auch ihre beste Freundin ein glühendes Symbol auf ihrem Ärmel trug. Genau wie Adam. Cassie deutete zitternd darauf.
»Ich weiß«, sagte Adam. »Ich habe es auch gesehen.«
Dann senkte Cassie den Blick und bemerkte, dass auch die Vorderseite ihrer Jacke leuchtete. Jetzt waren sie alle gleich. Der ganze Zirkel war markiert worden. Eine seltsame Ruhe überkam Cassie, als sei das Schlimmste endlich geschehen, sodass sie jetzt gemeinsam nach vorn blicken und die nächsten Schritte überdenken konnten. Doch dann ließ ihr ein schrilles Kreischen das Blut in den Adern gefrieren.
Es war Faye, die zitternd über der reglosen Suzan kniete.
Vor Cassies Augen begann alles zu verschwimmen, während sie zu Suzan hinübereilten. Adam erreichte sie als Erster. Er ließ sich auf die Knie fallen und fühlte nach ihrem Puls. Dann lauschte er, um festzustellen, ob sie noch atmete.
»Ruft einen Krankenwagen!«, schrie er, aber niemand rührte sich. Suzans Augen waren bereits glasig geworden. Ihr Gesicht hatte sich zu einer leblosen Maske verhärtet.
»Sie ist tot«, sagte Faye tonlos, »gestorben, um mir das Leben zu retten.«
»Nein.« Adam weigerte sich schaudernd, die Wahrheit anzuerkennen. Er versuchte es mit einer Herzdruckmassage. Er versuchte es mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung. Er tätschelte ihre Wangen und hämmerte schließlich hilflos auf ihre Brust ein. Aber es war zu spät.
Cassie kniete sich hin, um mit eigenen Augen zu sehen, was keiner von ihnen
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