Die Hexenjagd
regengrauen Abendhimmel, bis plötzlich ein Bild vor ihren Augen aufblitzte: Sie selbst im Missionshaus, kurz davor, Scarlett zu töten. Aber jetzt zog sie es durch. Sie vollendete den tödlichen Zauber und Scarletts Augen wurden ebenso glasig wie die der toten Suzan auf dem Dach und ihr lebloser Körper versteifte sich. Cassie stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn Scarlett für immer fort wäre– wenn der Zirkel endlich frei wäre.
Das ist es, dachte Cassie. Das war die Lösung. Sie würde Scarlett töten müssen. Denn dann hätte irgendein anderes verlorenes Familienmitglied die Chance, in den Zirkel einzutreten.
Nein, sagte sie sich abrupt und versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Sende Licht in diese dunklen Gedankengänge und vertreibe sie.
Cassie wusste, dass sie jede böse Absicht, die ihr in den Sinn kam, sofort bekämpfen musste, bevor sie sich in ihrem Innern festsetzen konnte.
»Cassie?«, fragte Adam besorgt. »Ist alles in Ordnung? Du bist bleich wie ein Gespenst.«
»Mir geht’s gut«, beteuerte sie, aber ihre Stimme klang verräterisch matt.
»Seht ihr«, warf Melanie ein. »Selbst Cassie ist bereits geschwächt. Ich hab’s euch doch gesagt.«
»Ich bin nicht geschwächt«, gab Cassie sofort zurück.
Aber Melanie ließ nicht locker. »Doch, bist du wohl. Wir alle sind geschwächt.«
»Das lässt sich ja leicht feststellen.« Chris richtete seine Aufmerksamkeit auf die Obstschale auf Dianas Wohnzimmertisch. »Ich werde einen Apfel schweben lassen.« Aber Sekunden verstrichen und nichts geschah. Der Apfel bewegte sich nicht und Chris war seine Frustration deutlich anzusehen.
Melanie verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust.
»Vielleicht klappt es, wenn wir es beide versuchen«, sagte Doug, trat neben seinen Bruder und konzentrierte sich ebenfalls auf den Apfel. Durch ihre gemeinsame Anstrengung begann er tatsächlich zu zittern. Er erhob sich kurz über der Schale, plumpste dann jedoch wieder herunter.
»Mist.« Chris keuchte vor Erschöpfung. »Wir hatten’s beinahe.«
»Danke, dass ihr gerade bewiesen habt, wie machtlos wir sind«, bemerkte Nick trocken. Er sah Cassie besorgt an. »Möglicherweise sind wir sogar noch schwächer, als wir es waren, bevor du in die Stadt gekommen bist.«
Cassie richtete den Blick wieder auf das Fenster und holte tief Luft. Sie hatten nur eine Chance, wenn sie Scarlett nicht vernichtete, das wurde jetzt immer deutlicher. Es verstieß zwar gegen jede Logik der vergangenen Ereignisse, aber sie würden sie tatsächlich fragen müssen, ob sie Mitglied des Zirkels werden wolle.
»Mit einem unvollständigen Zirkel können wir noch nicht mal die einfachste Alltagsmagie wirken«, stellte Melanie fest. »Geschweige denn irgendetwas, das stark genug wäre, um die Jäger abzuwehren. Ich schlage vor, wir führen Scarlett in den Zirkel ein, besiegen die Jäger und überlegen uns dann, wie wir weiter mit ihr umgehen wollen.«
»Was meinst du mit ›überlegen uns dann, wie wir weiter mit ihr umgehen wollen‹?« Diana sah Melanie skeptisch an. »Nach der Einführungszeremonie sind wir mit ihr verbunden. Das weißt du. Wir können sie nicht einfach benutzen und dann verraten. Das würde die Integrität unseres Zirkels schwer beschädigen. Ganz zu schweigen von unserer Selbstachtung.«
Das ist wahrscheinlich genau das, was Scarlett mit uns machen wird, dachte Cassie, schwieg jedoch, um die Situation nicht noch zu verschlimmern. Sie stand auf und trat in die Mitte des Raums.
»In diesem Fall gibt es keine gute Entscheidung«, erklärte sie. »Nur eine weniger schlechte. So ungern ich es auch zugebe, ich fürchte, wir brauchen Scarlett tatsächlich.«
Nicks Kiefer spannte sich an. »Ich will sie nicht als Mitglied«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Es muss eine andere Möglichkeit geben.«
»Scarlett oder niemand«, meinte Adam, der Nick bewusst nicht in die Augen sah, während er zur Gruppe sprach. »Wir müssen ihr nicht vertrauen, aber ich denke, wir müssen sie aufnehmen. Heißt es nicht, man solle seine Feinde in der Nähe halten? Viel näher als in unserem Zirkel geht es nicht. Zumindest haben wir sie dann im Auge.«
»Na toll«, sagte Nick. »Dann sitzen wir also in der ersten Reihe, wenn sie uns unter Kontrolle bringt.«
»Jetzt wartet mal.« Diana hob die Hände, um die beiden Jungen zum Schweigen zu bringen. »Wir sind elf und Scarlett ist allein. Wieso glaubst du eigentlich, dass sie so einfach die Kontrolle über
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