Die Hexenjagd
Wahrscheinlich war es besser, einige Dinge unausgesprochen zu lassen. Erklären konnte man es ohnehin nicht.
Diana drückte sich dicht an Cassie. »Siehst du die da?«, flüsterte sie ihr ins Ohr und zeigte auf einen Strauß Lilien. »Die sind von Max.«
Es war Diana anzusehen, wie sehr sie litt. Max nicht in ihrer Nähe zu haben, wenn sie ihn am dringendsten brauchte, war bestimmt schwer. Ohne Adam hätte Cassie diesen Tag kaum ertragen. Allerdings war Adam auch kein Erzfeind des Zirkels.
Diana berührte sehnsüchtig eine der Lilien. »Ich hab mit ihm Schluss gemacht, weißt du.«
Cassie versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
»Nach dem, was Suzan passiert ist, habe ich das ganze Ausmaß der Gefahr begriffen«, fuhr Diana fort. »Ich habe ihm gesagt, dass ich zu meinem Zirkel stehen müsse.«
»Und wie hat er es aufgenommen?«
»Er hat keine Wahl«, erwiderte Diana, aber sie schaute sich im Raum um, als hoffe sie immer noch, dass Max jeden Augenblick eintreten würde.
Cassie konnte sie nur allzu gut verstehen. Schließlich war es noch nicht lange her, dass sie Adam zum Wohl des Zirkels und um ihrer Freundschaft zu Diana willen aufgegeben hatte. Dennoch wusste sie nicht recht, was sie antworten sollte. Max war in der Nacht des Kampfes nicht auf dem Dach gewesen– er mochte also nicht ganz so böse sein, er mochte vielleicht nicht völlig von der Richtigkeit seines Jägerdaseins überzeugt sein. Aber Cassie konnte die Tatsachen nicht einfach ignorieren: Es war Max, der Faye markiert hatte. Es war Max’ Vater, der Suzan getötet hatte– Suzan, die erst seit einer Stunde unter der Erde lag. Und deshalb war Cassie letztlich froh, dass Diana mit Max Schluss gemacht hatte.
»Hör mal, Diana«, sagte sie. »Keiner von uns weiß, was die Zukunft für ihn bereithält, was zwischen dir und Max später einmal passieren wird. Aber heute hast du deine Freunde. Und wir sind für dich da– jetzt mehr denn je.«
»Du hast recht. Und ich bin dankbar dafür. Glaub mir, das bin ich wirklich.« Diana hielt inne. »Es ist nur so, dass ich manchmal wünschte, alles könnte ganz normal sein. Weißt du, was ich meine?«
»Nun…«, entgegnete Cassie zögernd und schaute zu Adam hinüber, der die fremden Besucher an der Tür begrüßte, ihnen für die Blumen und andere Aufmerksamkeiten dankte und sie in Richtung Wohnzimmer dirigierte. Stets hilfsbereit, stets der edle Ritter. Wie konnte Cassie Diana für ihre komplizierte Liebe verurteilen, da sie wusste, dass man in dieser Hinsicht kaum eine Wahl hatte?
»Weißt du, was ich meine?« Cassie legte einen Arm um Diana und zog sie an sich. »Ich meine, dass Normalität überschätzt wird.«
Kapitel Zweiundzwanzig
Am Abend, als alle Trauergäste nach Hause gegangen waren, fand sich der Zirkel in Dianas Wohnzimmer ein. Sie saßen reglos da und starrten ins Leere, als warteten sie auf irgendetwas, das keiner von ihnen benennen konnte. Sie lauschten dem Wind, der jetzt um das Haus fegte, und sahen durch das große Erkerfenster, dass sich der Himmel rosa gefärbt hatte: Suzans Lieblingsfarbe.
Keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte, und es gab auch nicht viel zu sagen. Die unausgesprochenen Worte hingen wie eine Drohung in der Luft: Es hätte jeden von ihnen treffen können. Wäre Cassie nicht aufgetaucht, hätten alle das tödliche Hexenjägersymbol auf der Stirn tragen können. Es war ein seltsames Gefühl, den Tod ihrer Freundin zu betrauern und gleichzeitig dafür dankbar zu sein, dass sie selbst verschont geblieben waren.
Faye hatte die Knie an die Brust gezogen und saß am Ende des Sofas, abseits von den anderen. Ihre Augen waren leer, die Lider schlaff vor Erschöpfung. Cassie war klar, dass es lange dauern würde, bis Faye wieder die Alte war; vielleicht würde sie nie wieder dieselbe sein.
Diana holte tief Luft und sah die anderen an. »Eine von uns ist tot«, begann sie. »Unser Zirkel ist gebrochen worden.« Sie nahm ihr Buch der Schatten, das neben ihr lag, und platzierte es auf ihrem Schoß. »Ich will ebenso wenig wie ihr darüber reden, aber wir müssen herausfinden, was jetzt, da unser Zirkel nicht mehr vollzählig ist, geschehen wird.«
»Wir sind wieder so schwach wie damals«, sagte Deborah, »bevor Cassie eine von uns geworden ist.«
Melanie nickte. »Angesichts der Gefahr durch die Hexenjäger und Scarlett hätte das zu keinem schlechteren Zeitpunkt geschehen können. Ich will nicht herzlos sein, aber wir müssen Suzan so bald wie
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