Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
ausgelöst durch einen Brief.“
Darauf bekundete mir Kaspar in erstaunlich weichem Ton sein Mitgefühl: „Ich weiß, wovon Ihr sprecht - Euer verstorbener Gemahl. Ich bin ebenfalls Witwer und verstehe diese Zustände, sie kommen und gehen. Inzwischen habe ich in Randau eine andere Frau kennengelernt, und wir werden demnächst heiraten. Das Leben geht weiter, Meisterin.“
So unbehaglich es mir war, für eine trauernde Witwe gehalten zu werden, die Rücksicht meiner Mitarbeiter, vornehmlich die von Kaspar und Erwin, tat gut.
Es war nicht der Brief als solcher, der mich so über Gebühr mitnahm, vielmehr die Enttäuschung, dass er keinerlei Auskunft über meine Familie enthielt.
Dann aber ließ mich Tante Annas erster Satz nicht mehr los, der lautete, auf diesem Weg könne sie mir keine Auskunft über meine Familie erteilen. Auf diesem Weg nicht - und auf einem anderen? Bei nächster Gelegenheit las ich Marlis und Jörg diesen ersten Satz und anschließend den letzten Teil des Briefes vor, wonach beide zu dem gleichen Schluss gelangten wie ich - Tante Anna wollte mir etwas über meine Familie mitteilen, was ihr zwar nicht schriftlich, wohl aber mündlich möglich wäre. Denn sicher hatte sie mich nicht umsonst am Ende des Briefes um meinen Besuch gebeten.
Darauf beschloss ich, Tante Anna baldmöglichst in ihrem neuen Kloster zu besuchen, das nach Jörgs Schätzung nicht mal anderthalb Tagesfahrten von hier entfernt liegen dürfte. Allerdings kann ich die Reise erst antreten, wenn die Straßen wieder schneefrei sind und auch nur, sofern der Zustand des Barons dann meine mehrtägige Abwesenheit zulässt. Doch alleine die Aussicht, in absehbarer Zeit endlich etwas über meine Familie zu erfahren, ließ für mich die Sonne scheinen.
A uf dem Gut wie auch in meinem gemütlichen Haus, ja, in ganz Erlenrode fühlte ich mich nun von Tag zu Tag wohler. Ich genierte mich auch nicht mehr, in meiner Freizeit unter den Winterhauben mein Haar bis in den Rücken fallen zu lassen, denn so auffallend gestreift erschien es mir nicht mehr, es enthielt eben Lichtreflexe. Und wenn ich heute ein Kompliment empfing, bedankte ich mich erfreut dafür.
Vierundzwanzig, fast fünfundzwanzig hatte ich werden müssen, um mich endlich als lebenstüchtigen Menschen zu empfinden und somit als ein annehmbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft - über deren Verhaltensregeln ich allerdings nach wie vor bisweilen innerlich den Kopf schütteln oder einen Lachreiz unterdrücken musste. Ein Vollweib, wie sich Oda ausgedrückt hatte, war ich zwar noch lange nicht, das konnte ich abschätzen, doch ich verlor dieses Ziel nicht aus dem Auge.
S ECHSTER T EIL
Kapitel 14
Frühjahr 1560 - Hohe Gäste
Münster, Sebastian
Cosmographia, 1550
E in neues Lebenslicht hatte den Weg zur Erde gefunden, und ein todmüdes zog sich in entgegengesetzter Richtung zurück. In Blankenburg hatte Marlis einen zum Verwöhnen knuddeligen Jungen zur Welt gebracht, den Tim Günter Hansen. Und auf dem Erlenroder Gut wird nun bald ein abgelebter Mann aus unserer Welt scheiden.
Lenkte ich meine Feinsinne auf den Baron, so gewahrte ich, wie sich allmählich seine Vitalkraft als zarter, irisierender Dampf aus seinem Erdenkörper verflüchtigte. Unaufhaltsam. Nach Herrn von Kahls Schilderung konnte der Baron kaum noch auf Kissen gestützt im Bett sitzen und sein Leib verfiel zusehends. Doch das Erfreuliche für alle, die ihn betreuten, er hatte nur noch freundliche, dankbare Worte für sie. Könnte nur sein Sohn ihn so erleben, er würde ihn einst in besserer Erinnerung behalten. Die Kost des Barons musste ich nun zurückhaltender gestalten, zwar sollte sie ihm noch alle notwendige Kraft verleihen, doch sie durfte andererseits seine müden Organe nicht belasten. Außerdem konnte und sollte er jetzt über den Tag verteilt nur winzige, dafür jedoch häufigere, abwechslungsreiche Portionen zu sich nehmen. Mithin war ich jetzt fast ausschließlich Heilköchin.
An eine Fahrt zu Tante Anna war somit nicht zu denken.
S eit ich hier beschäftigt war, wurde zu Beginn des Wonnemonds erstmalig auf unserem Gut ein fremder Gast von einem unserer Lakaien empfangen, ein maigrün gekleideter Ritter. Will er dem sterbenden Baron einen Besuch abstatten oder, was wahrscheinlicher war, glaubte er, die jungen Herrschaften hier anzutreffen? Mit dieser Frage konnte ich mich nicht weiter beschäftigen, ich musste mich wieder auf die Zubereitung der Heilkost konzentrieren, bei der so vieles zu
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