Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
bedauerte ich die Abwesenheit des jungen Ritters nicht, eher begrüßte ich sie, da er nun meine Gefühle nicht mehr durcheinanderwirbeln konnte. Frau von Erlenrode allerdings, mit der ich so manches Gespräch von Frau zu Frau geführt hatte, vermisste ich. Als ihre Vertreterin oblagen mir seit ihrer Abreise die hiesigen Hausfrauenpflichten, denen ich in meiner Freizeit so gewissenhaft wie möglich nachkam. Dies war nun bereits meine dritte Aufgabe auf diesem Gut. Die mir jedoch nicht viel abforderte, einmal, weil der Baron diese Aufgaben ja reichlich beschnitten hatte, und zum zweiten, weil mir das gesamte Gesinde wegen meines veränderten Verhaltens zunehmende Achtung zollte.
M arlis’ und Jörgs Schneiderei hatte unterdessen guten Zulauf, und Marlis’ Bäuchlein begann bereits, sich zu wölben.
Trotz dieser Freuden war Jörg mir zu Gefallen kürzlich zum Hildesheimer Kloster gereist, um sich dort nach einer Nachricht für mich zu erkundigen. Von meinen Eltern war nichts eingetroffen. Wohl aber war wenige Wochen zuvor für mich ein dicker Brief von Tante Anna abgegeben worden, den ich jetzt in den Händen hielt. Meine Finger zitterten, als ich den Umschlag öffnete - er enthielt drei beidseitig beschriebene Bögen. Ich las:
K loster Odenborn
Mariä Himmelfahrt 1559
M eine liebe, tapfere, teure Tora.
G leich zu Beginn: Von deiner Familie kann ich Dir auf diesem Weg nichts übermitteln, dafür vieles andere, das Dich interessieren dürfte, Schönes wie auch weniger Schönes.
Dass Du das Hildesheimer Kloster nie erreicht hast, habe ich erfahren, doch ich weiß, dass Du diesen Brief eines Tages dennoch in Deinen Händen halten wirst. Wieso ich das weiß? Dir ist schließlich bekannt, dass auch ich mitunter Gesichte habe und darin bist in den letzten dreieinhalb Jahren Du am häufigsten aufgetaucht.
T ora, unser Kloster wird es bald nicht mehr geben. Was wir seinerzeit haben verhindern können, ist nun doch eingetreten, Bischof Christoph lässt unser Kloster zugunsten der Kapuziner in wenigen Wochen räumen, er wirft uns Nonnen schlichtweg raus. Deshalb werden wir demnächst auf andere Klöster verteilt, alle möglichst weit entfernt von hier. Die meisten Schwestern werden in Bingen unterkommen, einige in Münster und ich als einfache Nonne in ein Aussiedlerkloster östlich von Goslar. Auf meiner Reise nach Goslar werde ich dann über Hildesheim fahren, um eigenhändig in dem dortigen Benediktinerkloster diesen Brief für Dich abzugeben, denn auf die Post ist ja kein unbedingter Verlass.
Gewiss interessiert Dich auch der Verbleib von Schwester Magda, und es fällt mir nicht leicht, Dir ihr tragisches Schicksal mitzuteilen. Wie du weißt, war sie bereits kurz vor Deiner Flucht in verzweifelte Reue gefallen, doch als ihr dann aufgegangen war, dass Du das Kloster aufgrund ihres Verrats hast verlassen müssen, hat sie wohl mit ihrer Schuld nicht mehr leben können. Sie ist zerschellt am Fuß des Knauerfelses aufgefunden worden. Weshalb sie abgestürzt war, konnten wir nur mutmaßen, jedenfalls haben wir ihr ein christliches Begräbnis zuteilwerden lassen.
Was aber unser Bischof und die abtrünnigen Kapuziner erst nach unser aller Abreise erfahren werden, sie werden ihr Ziel auch diesmal nicht erreichen. Denn als ich dieser Tage Graf von Zollern unsere Lage vortrug, versicherte er mir, er werde die Klosteranlage keiner kirchlichen Einrichtung mehr zur Verfügung stellen, vielmehr wird er diese Anlage seinem Sohn Raimund schenken, der solche Gebäude suche, um eine weltliche Hochschule darin zu gründen. Ich weiß, Tora, dass Du Raimund von Zollern gut gekannt hast und bin sicher, Du wirst Dich über dieses Geschenk und über sein begrüßenswertes Vorhaben mit ihm freuen. Er ist ein halbes Jahr nach Deiner Flucht als Ritter heimgekehrt und hat seitdem an anderen Hochschulen seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse vervollständigt. Jetzt ist er zum Leiter einer naturwissenschaftlichen Hochschule prädestiniert.
Zurück zu den Kapuzinern. Da haben diese Mönche in ihren schlauen Köpfen die verwegensten Pläne ausgeheckt, und sicher jubilieren sie bereits über ihren vermeintlichen Sieg, dabei steht ihnen eine herbe Enttäuschung bevor. Für diese verirrten Seelen kann man nur beten.
N un zu Dir, meine Liebe.
Von Deinem damaligen Kutscher und Schutzritter von Aue haben wir erfahren, dass ihr mit eurer Karawane bis kurz vor Nordhausen gelangt seid. Von da aus wolltest, vielmehr solltest Du dann völlig alleine,
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