Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
dessen Befinden ausrichten soll, er selbst habe gestern zwar eine Weile an seinem Bett gesessen, jedoch kein ausreichendes Bild von seinem Zustand gewinnen können. Ich konnte ihm nur sagen, dass es mit ihm zu Ende ging, Pfingsten werde er wohl nicht mehr erleben, das meine auch sein Arzt. „Aber den Umständen entsprechend geht es ihm gut“, fügte ich hinzu, „er leidet weder körperlich noch seelisch.“
„Den Eindruck hatte ich ebenfalls, und das wird seine Familie beruhigen. Du sagtest, er habe sogar seine Härte abgelegt?“
„Ja, Raimund, das hat er. Außerdem bereut er die unschöne Auseinandersetzung mit seinem Sohn, mir ist berichtet worden, seine Augen füllten sich stets mit Tränen, wenn der Name seines Sohnes fiel. Richte das deinem Freund bitte aus. - Raimund, wenn seine letzte Stunde zu erwarten ist, soll ich dann nach seiner Familie schicken?“
Nach kurzem Überlegen entschied er: „Tu das, ja. Ich hatte mehrmals den Eindruck, seine Gemahlin möchte ihn noch mal sehen. Vielleicht ja die anderen Familienmitglieder auch.“ Seine Stimme wurde bewegt, als er weitersprach: „Mit deiner gekonnten Fürsorge hast du dem Baron und seiner Familie einen größeren Dienst erwiesen, als du ermessen kannst. - Aber jetzt muss ich mich verabschieden. Ade, Tora, wir sehen uns bald wieder!“
„Ade, Raimund!“
Ich begleitete ihn hinaus und ging von dort aus unmittelbar zum Küchenhaus, ohne ihm diesmal wieder nachzublicken, schon, weil uns mehrere Augenpaare beobachteten und in dem des Herrn von Kahl unverkennbar Eifersucht blitzte.
W ie nicht anders zu erwarten, wollten mir die Domestiken im Laufe des Tages entlocken, woher ich den feschen Ritter denn kenne, ich sei so vertraut mit ihm gewesen. Er sei ein ehemaliger Studienkollege von mir, erklärte ich ihnen, wir hätten uns fünf Jahre nicht gesehen, weshalb es viel zu erzählen gegeben habe. Das konnte Herrn von Kahl nicht beschwichtigen, mit hässlich verkniffenem Gesicht hielt er mir vor: „Ihr habt Euch gestern reichlich lang mit Eurem ehemaligen Studienkollegen in Eurem Haus aufgehalten.“
Diese Bemerkung war mir keine Antwort wert.
Wenn er doch endlich einsähe, dass er keine Chancen bei mir hatte. Mich störte in letzter Zeit immer mehr an ihm, vornehmlich ein Charakterfehler, der meiner eigenen Natur konträr entgegenstand - Berechnung. So hatte er beispielsweise auf meine Empfehlung Ende vergangenen Jahres aus der Gutskasse den gleichen Obolus an die protestantische Kirche Erlenrodes entrichtet, wie an die katholische. Zunächst hatte mich verwundert, wie widerspruchslos er dazu bereit war, doch dann hatte er durch eine unbedachte Bemerkung sein Motiv dazu offenbart - die jungen und ja bald neuen Herrschaften unserer Lehnschaft waren Protestanten, eine gute Gelegenheit, sich bereits jetzt bei ihnen in ein gefälliges Licht zu rücken. Nur gut, dass den Erlenrodern dieses Motiv verborgen blieb, denn so hielten sie die unerwartete Geldleistung an die protestantische Kirche für eine einsichtige Geste ihres Feudalherren. Zumal ihnen, wie von mir angestrebt, an vielem anderen auffiel, dass der Baron auf dem Sterbelager seinen Gerechtigkeitssinn zurückgefunden hatte, wodurch sie ihn in besserer Erinnerung behalten werden.
V erglich ich das heutige Erlenrode mit dem bei meiner Ankunft, dann freute ich mich darüber nicht weniger als seine Bewohner. Die Wassermühle klapperte wieder, die Kaufläden luden zum Eintritt ein, und kaum einen Dörfler sah man noch in Lumpen, ohne Schuhe oder mit grimmigem Gesichtsausdruck. Außerdem hatte der einsichtige Gutsherr die Löhne der Hauer auf ein Normalmaß anheben lassen, weshalb sich jetzt nur noch acht ältere Menschen mittags Armenspeise abholen mussten, selbst die beiden Pfarrhäuser versorgten sich inzwischen selbst. Gewiss, dies war erst der Anfang, doch es war abzusehen, dass die Silbermine zunehmend höhere Erträge erbringt, wodurch Erlenrode wieder jene blühende Baronie werden kann, die sie einstmals gewesen war.
Das werde ich allerdings nicht mehr erleben, da auf diesem Gut bald keine Heilköchin mehr vonnöten ist.
Noch aber konnte ich die Gegenwart hier genießen, auch wenn ich mich jetzt mehr auf den Baron konzentrieren musste denn je. Zwar nahm er nur noch Getränke, allenfalls ein wenig Gemüsebrühe zu sich, doch es gab nun keine freie Stunde mehr für mich, die ich privat verbringen konnte. Ich war jederzeit zur Stelle, und meine Feinsinne halfen mir, stets das genau Richtige für
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