Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
verstummt. Ich lenkte meine Schritte durch einen abgelegenen Teil der Anlage, um gänzlich mit mir allein zu sein. Ganz alleine fühlte ich mich allerdings nicht, da wieder und wieder das Bild der Disengräfin in mir auftauchte, ich sah wieder ihr Lächeln, das mich mitten ins Herz getroffen hatte. Nun verstand ich, weshalb sie sich solcher Beliebtheit erfreute, diese Frau musste man lieben. Sicher hatte sie ihren Gemahl auf dem Sterbebett gestreichelt, was er wie Engelsstreicheln empfunden haben musste, und ihm dann die endgültige Loslösung aus dem Erdenkörper womöglich zur Seligkeit hatte werden lassen. Doch so überirdisch sie mir auch schien, mir war, als kenne ich sie. Alles an ihr kam mir bekannt, ja, vertraut vor, ihr Aussehen ebenso wie ihre Bewegungen, ihr Blick und ihre einzigartige Ausstrahlung. Allerdings, wäre ich ihr, der Disengräfin, jemals begegnet, dann wüsste ich das schließlich - es sei denn, sie war eine Gestalt aus meiner vergessenen Kindheit.
Da mir bei diesem Gedanken etwas taumelig wurde, lenkte ich mich ab. Ich betrachtete mir die stolzen Kerzen eines Kastanienbaums, sog den Duft einer Fliederdolde ein und beobachtete dann eine Biene, die summend und suchend die Fliederblüten abtastete, was mich daran erinnerte, dass es im Küchenhaus gleich auch für mich reichlich zu tun gibt.
Auf dem Rückweg entdeckte ich durch die Büsche auf einer Gartenbank die Gräfin. Aber nicht mit trauergesenktem Haupt, vielmehr lächelte sie hoch in den blauen Frühlingshimmel, als sende sie ihrem Gemahl Grüße in seine neue Heimat. Um sie nicht zu stören, schlug ich einen anderen Weg zur Küche ein.
Dort angelangt, fand ich die Köche und Gehilfen in einer Verfassung vor, wie ich sie eher bei den Angehörigen des verstorbenen Barons vermutet hätte. Niedergeschlagen kauerten sie auf den Küchenschemeln und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme über den Verstorbenen. Nicht zu glauben, zu seinen Lebzeiten hatte ich sie oft genug über ihn herziehen hören, und jetzt erschütterte sie sein Tod. Aber sie gingen ja davon aus, er habe einen Opfertod erbracht, um damit Erlenrode wie auch seine Familie von dem Satansfluch zu erlösen.
Jetzt bat ich Raul, in meinem Herd ein Feuer herzurichten und sagte dann in die Runde: „Wir bereiten der Grafenfamilie das Abendbrot mit besonderem Bedacht zu, damit erweisen wir ihnen unser Mitgefühl.“
Kaspar meinte besorgt: „Sie werden jetzt womöglich gar nichts den Hals runter bekommen. Also als ich . .“
„Deshalb habe ich gesagt, mit Bedacht, Kaspar“, unterbrach ich ihn freundlich. „Nur leichte Kost, kleine Portionen und gefällig dekoriert. Kaspar und Erwin, ihr seid so gut und belegt die Platten, Frowin wählt aus, was ihr verwenden sollt und hilft euch dann, alles appetitlich herzurichten. Ich koche indessen die Suppen, Soßen und Cremes und suche die passenden Tafelweine aus. Bier darf heute auf keinen Tisch, auch nicht im Speisehaus.“
N ach dem Abendbrot hatte ich mich noch lange in der Küche aufgehalten, um eventuelle Wünsche der Gäste zu erfüllen. Jetzt saß ich mit aufgelöstem Haar und im Nachthemd an meinem Wohnstubenfenster und träumte mich in den immer dunkler werdenden Abend hinaus. Ich wollte einfach Kopf und Gemüt frei träumen, wozu ich meine Gedanken schweifen ließ, ohne ihnen nachzuhängen.
Plötzlich holte mich ein Klingeln unten an der Haustür aus meiner Träumerei. Ich schlupfte in meinen grünseidenen Hausmantel, ging zur Wohnungstür, und beim Hinaustreten vernahm ich vom Hausflur her Stimmen. Herr Sauer hatte den Gast bereits hereingebeten, es war eine Frau, die sich mit auffallend samtiger, doch volltönender Stimme nach mir erkundigte.
„Wer ist denn da?“, rief ich nach unten, während ich die Stiege hinabtrat, worauf mir die volle Samtstimme eine Gegenfrage stellte:
„Darf ich hinauf kommen?“
„Ja, bitte!“
Im Lichtschein von Herrn Sauers Handlaterne erblickte ich eine zierliche, schwarzgekleidete Frauengestalt, und als wir uns entgegenkamen, erkannte ich sie - es war die Gräfin.
„Erschrick nicht, Kind“, sagte sie nett, „vor mir muss man nun wirklich nicht erschrecken.“
„Nein . , natürlich nicht“, haspelte ich, und während wir gemeinsam die letzten Stufen erklommen, leuchtete uns Herr Sauer mit seiner Laterne das Stiegenhaus aus.
Vor meiner offenen Wohnung, aus der helles Licht zu uns drang, fragte mich die Gräfin: „Lässt du mich wohl zu dir hinein?“
Mit einer Handbewegung bat ich sie in
Weitere Kostenlose Bücher