Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
die Wohnung und rief dann Herrn Sauer zu: „Dankeschön, und gute Nacht!“
„Gute Nacht!“
Ich führte die Gräfin in die Wohnstube, wobei sie eine bauchige Tonflasche unter ihrem Umhang hervorzauberte und mir verschmitzt gestand: „Rotwein, den habe ich von einem Servierwagen stibitzt, keiner hat’s gemerkt.“
„Eijeijei!“
Sie besaß sogar Humor. Weshalb aber war sie gekommen? Als hätte sie diese Frage geahnt, bat sie mich: „Hol uns erst Becher, mein Liebes, dann reden wir, ja? Darf ich Platz nehmen?“
„Aber ja, verzeiht meine Unaufmerksamkeit.“
Sie ließ sich in einen der weinroten Sessel nieder, sah sich in der Stube um und bemerkte: „Wunderschön hast du dich eingerichtet, wirklich, hier kann man sich wohl fühlen.“
Nachdem ich die Becher auf den Tisch gestellt und Wein eingeschenkt hatte, wollte auch ich mich setzen, sie jedoch hinderte mich daran, indem sie sich erhob, meinen Sessel näher zu ihrem heranzog und sagte: „Nicht so weit weg von mir, hilf mir bitte - so, ja, ganz dicht neben meinen.“
Sie war einfach bezaubernd. Wir nahmen Platz, sie hob ihren Becher an, und nachdem wir einen Schluck genommen hatten, griff sie nach meinen Händen, blickte mich innig mit ihren großen grünen Augen an und bat mich:
„So, mein Liebes, und jetzt vergiss die ganze Welt und sieh mir nur in die Augen.“ Ich tat es, während sie leise und immer leiser werdend weiter sprach: „Alles ringsum vergessen, für dich gibt es nur noch mich. Du blickst mir in die Augen, ganz hindurch, durch meine Seelenfenster. - Du entdeckst mich . , du entsinnst dich . , erkennst mich . . , Dorith, du erkennst mich . .“
Sie redete, vielmehr flüsterte unentwegt weiter - ich begann, mich zu erinnern, immer deutlicher. Kindheitsgeschehnisse liefen vor mir ab, sie sprach mich mit Dorith an, erwähnte Dietrich, meinen Bruder - ich bekam ihn mehrmals vor Augen, ein aufgeweckter, mich stets beschützender, rothaariger Junge.
„Dietrich“, kam es mir über die Lippen.
Dann durchrieselte mich ein Schauer, ein heller Freudenschauer - ich erkannte auch sie: „Mutti . .“
Ich fiel ihr um den Hals, und sie drückte mich gerührt an sich.
Jetzt vor ihr kniend, lag mein Kopf an ihrer Brust. Ich hielt ihren Oberkörper umarmt, und sie streichelte mir zärtlich Kopf und Gesicht, wobei sie mir hin und wieder mit ihrem Taschentuch Tränen abtupfte. - Wir hatten uns wieder gefunden.
Es dauerte, bis sich meine Erschütterung legte und die Bilder, die noch immer vor meinem inneren Auge abrollten, zusammenhängender wurden. Dabei begriff ich allmählich - der verstorbene Baron war mein Vater, ich hatte meinen eigenen Vater gepflegt. Deshalb meine warme Zuneigung zu ihm. Und sein Sohn, Ritter von Erlenrode, war mein Bruder Dietrich. Ich war also nie wirklich verliebt in ihn gewesen, es war Geschwisterliebe, für mich weit bedeutungsvoller.
Nun hob ich meinen Kopf an und wollte eine Bestätigung: „Dietrich ist mein Bruder, nicht?“
Mutter nickte glücklich, sie sah so überaus lieb und glücklich aus, deshalb küsste ich ihr die Wangen, erhob mich dann und setzte mich zurück in meinen Sessel. Immer mehr Erinnerungen holten mich ein, zu viele, was Mutter mir wohl anmerkte, denn sie regte mich zu einem weiteren Schluck Wein an und riet mir anschließend: „Entspanne dich, Liebes, lehne dich nach hinten zurück und genieße den Augenblick.“
„Ja, Mutter.“
Darauf schenkte ich meinen inneren Bildern keine Beachtung mehr und wurde von zunehmender Freude erfüllt. Wonach ich mich Jahr für Jahr, Tag für Tag gesehnt hatte, war überraschend Wirklichkeit geworden, ich hatte meine Familie wiedergefunden. Ja, ich genoss diesen Augenblick.
Nachdem mehrere Minuten verstrichen waren, fragte ich Mutter: „Außer Dietrich habe ich noch mehr Geschwister, nicht?“
„Schon, aber nicht alles auf einmal, Liebes, dir zerspringt sonst noch der Kopf.“
„Ja, merke ich selbst. Aber sagt mir bitte, Mutter“, setzte ich zu einer anderen Frage an, worauf sie mich spontan unterbrach:
„Oh bitte, sprich mich mit Du an, das dürfen und tun deine Geschwister auch, seit sie erwachsen sind, ja?“
„Danke, dem schließe ich mich gerne an“, stimmte ich zu und erkundigte mich dann, ob Dietrich mich eigentlich wiedererkannt habe.
„Er war sich nicht sicher, Dorith, weil du doch diese Narben und sehr hellblondes Haar gehabt haben solltest. Deshalb haben wir dann Raimund hierhergebeten, und den Rest kennst du.“
„Ahja. Und jetzt nur noch eins,
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