Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
meinen Patienten zuzubereiten.
I n kaum wahrnehmbarem Rosa deutete sich zwischen den Baumkronen die Morgendämmerung an, jubilierend empfangen von unzähligen Vogelstimmen, als ich, dreizehn Tage nach Raimunds Besuch, mit Raul das Gutsgelände betrat. Doch mich zog es jetzt nicht ins Küchenhaus, sondern zu meinem zwischen dem Rotdorn verborgenen Gartenstuhl. „Ihr müsst heute das Frühstück ohne mich herrichten“, sagte ich zu den mich bereits erwartenden Köchen und überreichte Frowin den Schlüsselbund.
Frowin nickte ernst, er ahnte, dass und weshalb ich mich an der Hinterfront des Gutshauses aufhalten will.
Nachdem der Baron gestern nicht mal mehr Tee angenommen hatte und kaum noch ansprechbar gewesen war, hatte ich den Stallmeister mit dem Auftrag betraut, seine Familie über seinen ernsten Zustand zu informieren. Er war umgehend nach Disburg geritten. Anschließend hatte ich Lemka, der Zofe, aufgetragen, das Gemach der jungen Herrschaften, das der Gemahlin des Barons und vorsorglich noch ein Dutzend weitere Gästezimmer herzurichten.
Am Abend hatte unser Gutsherr dann seine letzte Ölung erhalten. Jetzt löste sich seine Seele, sein Ich, langsam aus dem immer lebloser gewordenen Erdenkörper, was bis zur endgültigen Trennung noch mehrere Stunden währen wird. Wahrscheinlich wird ihn seine Familie bei noch zeitweiser Besinnung antreffen.
Nach Raimunds Besuch hatte ich mich bei Frau Sauer, Rauls Mutter, nach der Familie des Barons erkundigt und mit Staunen erfahren, dass seine Gemahlin die hiesige Disburger Gräfin Adelheid war. Das Ehepaar habe noch eine Tochter, hatte mir Frau Sauer berichtet, die einst die Nachfolge der Gräfin antreten wird, obwohl sie, im Gegensatz zu ihrer verehrenswürdigen Mutter, alles andere als disenhaft sei. Der Begriff Dise, weiblicher Schutzgeist oder -engel, genoss in der hiesigen Grafschaft große Bedeutung und wurde stets mit verklärtem Ausdruck ausgesprochen. Meinen weiteren Fragen nach der Familie des Barons war Frau Sauer unter ängstlichem Bekreuzigen ausgewichen.
Um endlich herauszufinden, welches so viel Grausen einflössende Geheimnis in Erlenrode schwelte, hatte ich mich anschließend an unseren alten Gartenmeister Joseph gewandt der mir nach einigem Zaudern kundgetan hatte:
„Das Unglück der Grafenfamilie beruht auf Höllenwerk, gnädige Frau, weshalb sich jeder scheut, darüber zu reden. Es hat mit einem schändlichen Kindsmord in dieser Gegend seinen Anfang genommen und dann etliche Tragödien nach sich gezogen, ich denke nur an die Teufelsaustreibung, die unser Priester an dem armen Kinderleichnam vollzogen hat. Darauf dann die Rache des Leibhaftigen, sein Fluch, der sich auf die Grafenfamilie ebenso ausgewirkt hat und noch immer auswirkt, wie auf ganz Erlenrode. Dagegen ist selbst unsere verehrte Gräfin machtlos.“ Er hatte mit dumpfer Stimme gesprochen, die jedoch, als er fortfuhr, wieder ihre normale Tonlage gefunden hatte: „Aber zum Glück steht unsere Grafschaft ja unter dem Schutz von Disen,“ jetzt hatte er mich verschwörerisch angelächelt, „die vor etwa einem Jahr offensichtlich beschlossen haben, uns von diesem Satansfluch zu befreien, denn er löst sich seitdem zusehends auf. Als Gegenleistung, da sind wir Erlenroder einer Meinung, erwartet der Himmel von unserem Feudalherrn, dass er für all seine hier begangenen Sünden mit seinem Leben bezahlt. Und dieses Opfer erbringt er ja.“ Wieder dieses verschwörerische Lächeln, als er dann nachgesetzt hatte: „Aber wem erzähle ich all dies, wo Ihr selbst darüber doch weitaus besser informiert seid.“
Darauf war mir eingefallen, dass mich die Erlenroder ja für eine vom Himmel gesandte Dise hielten, weshalb ich als Antwort eine nichtssagende Miene aufgesetzt hatte.
Dachten sie womöglich auch, ich beschleunige als Heilköchin das Sterben unseres Gutsherrn? Das allerdings wäre abscheulich, sinnierte ich jetzt, am Frühstückstisch sitzend, weiter. Unser Baron ein Märtyrer, wie wundergläubig die Menschen doch waren. Nun, offenbar war auch ich nicht ganz frei von Wunderglauben, denn der Begriff Dise durchschwebte seit jenen Gesprächen mit Frau Sauer und anschließend mit dem Gartenmeister meine Gedanken, und stets wenn ich seitdem versuchte, mir solch ein hehres Himmelswesen vorzustellen, erfüllte mich eine lichte Kraft. So gewaltig, dass der schwarze Vorhang, der sich über meine Kindheitserinnerungen ausgebreitet hatte, durchlässiger wurde. Mir war sogar, als habe sich droben im
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