Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
zwei Jahre älter als ich. Ein feiner Mensch, wir verstehen uns blendend. Unsere Mutter und unsere Schwester Irma hat leider vor fünf Jahren die Pest dahin gerafft.“
Dann sprach er so liebevoll von seiner Mutter, dass ich kaum glauben konnte, es handle sich um dieselbe Frau, von der mir Angelika berichtet hatte. Anschließend kam er auf seinen Vater zu sprechen, der nicht nur ein Spross des Zollern-, sondern mütterlicherseits auch des alten Askaniergeschlechts sei.
„Askanien“, stutzte ich, „Von diesem Land habe ich schon gehört. Aber früher - ja, in meiner Kindheit.“
„Eine Erinnerung, Tora?“
„Möglich, doch zu undeutlich.“
„Dann wird sie vielleicht deutlicher, wenn ich dir mehr davon erzähle“, meinte er und begann: „Der älteste bekannte Askanier war Fürst Esico, er lebte vor gut fünfhundert Jahren . . “
„Nicht weiter, Raimund“, fiel ich ihm ins Wort und presste meine Fäuste gegen die Schläfen, „mein Kopf bäumt sich dagegen auf.“
„Dann vergiss, was ich erzählt habe“, forderte er mich auf, wedelte mit den Händen verscheuchend um meinen Kopf und pustete dabei, „f f f t , weg mit euch Störgeistern, was habt ihr bei meiner Tora zu suchen? Weg mit euch, f f f t, weg, weg!“
Bald musste ich lachen und konnte ihm sagen, dass alles wieder in Ordnung war.
Er aber meinte skeptisch: „Mir scheint, noch nicht ganz“, nahm mein Gesicht in die Hände und küsste mir die Stirn. Gleich drauf fühlte ich seine weichen Lippen erst auf meiner rechten und dann auf der linken Wange, und schließlich küsste er mir den Mund. Dann flüsterte er zärtlich: „Erst jetzt ist alles in Ordnung.“
Raimund, mein Raimund.
B eschwingt von unserer noch knospenhaften Liebe flogen die Tage nur allzu rasch dahin, wobei Raimund und ich all unsere Freizeit nutzten, um miteinander auszureiten oder auch nur einen kurzen Spaziergang zu unternehmen. Dabei erkundigte er sich häufig nach meiner Familie. Es reichte ihm nicht, zu wissen, dass mein Zuhause in einem deutschen Mittelgebirge lag und ich wahrscheinlich zwei rothaarige Brüder hatte, einen bedeutend älteren, der Spinett spielte und einen in etwa meinem Alter, der mich in meinen Träumen mit traurigem Blick herbeiwinkte. Wir teilten die Ansicht, meine Eltern hätten mich nach nunmehr fast neun Jahren noch immer nicht nach Hause geholt, weil sie meinen Misshandler, der sicher glaubte, mich erschlagen zu haben, in ihrer Bekannt- wenn nicht gar Verwandtschaft vermuteten und mich vor ihm schützen wollten. Allerdings befremdete Raimund, dass es meinem doch sicher einflussreichen Vater nach so vielen Jahren noch immer nicht gelungen war, diesen Verbrecher zu fassen und hinrichten zu lassen. Ob unsere Spekulationen nun zutrafen oder nicht, Raimund beabsichtigte, von Runkel aus dies oder jenes über mein Elternhaus in Erfahrung zu bringen.
Dazu regte er mich nun an: „Und wenn du in deiner Erinnerung ein noch so verschwommenes Bild findest, Tora, vielleicht liefert es uns einen Hinweis.“
Darauf bekannte ich ihm: „Verstehe bitte, Raimund, dass ich eine Erinnerung bisher für mich behalten habe. Ich werde sie dir jetzt aufdecken: Als ich nach meiner Misshandlung von körperlichen wie seelischen Schmerzen zerrissen daniederlag, drang plötzlich ein Leuchten in mein dunkles Bewusstsein, ich gewahrte eine Frau, die sich über mich beugte und all ihre Liebe in meine Seele ergoss. Es war nur ein kurzer Augenblick, doch er war so intensiv, dass mir noch heute ist, als habe ich ihn gerade erst erlebt. Ich muss dir nicht sagen, dass diese Frau meine Mutter war.“
Darauf nahm er mich gerührt in die Arme, wobei ich unbeabsichtigt seine Aura wahrnahm - sie leuchtete rosarot, durchzogen von Goldstrahlen.
E s war, als wetteiferten Ende des Sonnmonds in Raimunds und meiner Brust Glück und Weh um ihre Vormachtstellung. Nach abgelegter Prüfung nahm Raimund glücklich sein Apothekerdiplom entgegen, und mir war als einzigem Fräulein der Sprung in die Oberstufe gelungen.
Während sich dann am Nachmittag alle anderen auf ihre morgige Heimreise vorbereiteten, trafen Raimund und ich uns für eine viertel Stunde außerhalb des Klosters an einem unbelebten Feldweg. Wortlos hielten wir uns umschlossen, erfüllt von unserer Liebe, die von Trennungsschmerz durchdrungen war. Raimund suchte meine Lippen, und unser kurzes Beisammensein endete in einem innigen, unserem ersten wirklichen Kuss.
Tags drauf blieb uns am Schultor nur eine gestohlene Minute für den
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