Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
gleich drauf von selbst über die Lippen, „nur so kann es gerettet werden.“ Die Äbtissin wollte etwas einwenden, ich aber war mit meinen überreizten Gedanken bereits weiter: „Du wirst dem Bischof sagen, ich wäre von meinen Eltern - nein, ich bin ja eine Waise. Ich wäre von meinem Bruder nach Hause geholt worden. Nein, du brauchst nicht zu lügen, ich selbst werde das vorher unter den Schwestern verbreiten. Und anschließend reite ich mit Sack und Pack fort von hier.“
„Tora, besinne dich. Ohne Begleitung kämst du nicht mal bis Tübingen. Wir müssen eine vernünftigere Lösung finden, zumal auch du persönlich jetzt gefährdet bist.“
„Aber fix“, drängte ich, „der Bischof kann jeden Tag hier auftauchen.“
Nun legte sie mir beschwichtigend die Hände auf die Schultern: „Nein Tora, überlege, er muss doch erst beim Vatikan die Erlaubnis für sein Vorhaben erwirken. Vor Ostern kann er unmöglich hier erscheinen, uns bleibt also noch ausreichend Zeit. So, meine Liebe, und jetzt wird jede von uns in Ruhe und für sich alleine die Sachlage überdenken.“
„In Ruhe - aber . . Ja, Tante Anna.“
I ch musste mich wahrlich beruhigen. Nichts wäre jetzt fataler, als den Verstand zu verlieren. Deshalb bereitete ich mir in der Küche einen Schlummertrunk zu und nahm ihn mit in meine Stube.
D er Trunk hatte seine Pflicht erfüllt, denn als ich am nächsten Morgen erwachte, sah ich durch mein Fenster bereits die Küchenschornsteine rauchen - ich hatte verschlafen. Dennoch räkelte ich mich behaglich unter der Bettdecke, das war es, was mir lange schon gefehlt hatte, tiefer und ausreichender Schlaf. Besonders mein Kopf dankte mir diese Erholung, er ließ nun wieder Vernunft zu.
Ich muss das Kloster verlassen, wurde mir dadurch allerdings noch klarer, denn nur, wenn der Bischof weder Raimund noch mich hier vorfinden wird, steht das Kloster makellos da. Wo aber soll ich hin? Zu glauben, ich könnte tagelang alleine unterwegs sein, war natürlich töricht, ohne männliche Begleitung könnte ich nicht mal einen Gasthof betreten, nicht zum Speisen, geschweige denn zum Übernachten, das verstieß gleich gegen mehrere Regeln. Mir wurde deutlicher denn je, wie lebensfremd ich war.
Desto erfahrener war die Äbtissin. Als wir wenig später beisammen im kleinen Aufenthaltsraum saßen, unterbreitete sie mir einen Vorschlag: „In Kürze zieht nicht weit von hier eine Händlerkarawane vorbei, der du dich anschließen könnest. Der Karawane gehört ein alter Freund von mir an, ein spanischer Jude, wir waren einstmals Nachbarn und stehen bis heute in schriftlichem Kontakt. Er wird mir einen Besuch abstatten. Soll ich ihn bitten, dich in seine Obhut zu nehmen?“
„Aber ja, was kann ich mir Besseres wünschen.“
„Schön“, freute sie sich, „dann weiter. Ich werde noch heute zu einer mir bekannten Familie fahren, um von ihr einen Zweispänner mit einem für dich geeigneten Kutscher zu engagieren - keine Sorge, deine Stute sollst du mitnehmen. Der Jude, Rubinez ist sein Name, zieht mit der Karawane nordwärts bis Lübeck, und auf dieser Route, nahe Hildesheim, liegt ein Benediktinerkloster mit einer Hochschule wie unsere. Dort kannst du dein Studium zum Abschluss bringen, ich verfertige dir dazu ein Empfehlungsschreiben. Außerdem erhältst du von mir einen Ausweis mit deinem hiesigen Namen, Viktoria von Tornheim. Und vor allem, Tora, sei dir ab Anfang des kommenden Sonnmonds, deinem einundzwanzigsten Geburtstag, stets eingedenk, dass du eine erwachsene Frau bist. Vergiss das nie.“
„Ja, präge ich mir ein. Wann wird denn Herr, Herr . . hier eintreffen?“
Sie lächelte: „Herr Rubinez. Ich erwarte ihn Ende nächster Woche.“ Sie erhob sich: „Und jetzt muss ich die erwähnte Familie aufsuchen.“
A m Nachmittag verfasste ich zwei Briefe, einen an Angelika - an Agneta von Vossenberg - und einen an Raimund. Beide unterrichtete ich mit vorsichtigen Worten, dass und weshalb ich das Kloster verlassen muss und wir unsere Korrespondenz erst wieder aufnehmen können, wenn ich an einer anderen Klosterschule Platz gefunden habe. Dann konnte ich mich trotz aller Beherrschung meiner Tränen nicht mehr erwehren - in nicht mal drei Monden hätte ich Raimund wieder in die Arme schließen und wenig später von den hiesigen Lehrerinnen mein Apothekerdiplom in Empfang nehmen können. Gott alleine wusste, wie lang sich beides nun hinauszögern wird. Oh, diese trugreiche, oft so grausame Menschenwelt, ich werde sie nie
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