Die Hexenmeister
Vorbereitungen, um die neue Kraft schon bei der Geburt zu vernichten. Sie will nicht, daß es noch einmal geschieht. Es darf keine Parallele geben.«
»Solara«, sagte die Äbtissin. »Ich wußte es. Sie wird sterben und dann in deine Fußstapfen treten.«
»Nein – treten wollen. Aber sterben soll sie, das stimmt schon. Nur darf es nicht mehr ablaufen, wie es schon einmal abgelaufen ist. Der Hexenmeister hat sich nur einmal überlisten lassen. Jetzt will Valentin alles im Keim ersticken. Aber ich stehe nicht allein. Einer meiner Schützlinge hat das Richtige getan und sich an einen Mann gewandt, der auch Sohn des Lichts genannt wird. Beide sind unterwegs, um diesem Kloster einen Besuch abzustatten.«
»Wann werden sie eintreffen?«
»Noch an diesem Tag. Ich hoffe auch, daß sie es vor Anbruch der Dunkelheit schaffen.«
Die Äbtissin nickte. »Was soll ich ihnen sagen?«
»Alles.«
»Kann ich das riskieren?«
»Ja, du kannst ihnen voll und ganz vertrauen. Ich weiß auch, daß es der Hexenmeister versuchen wird. Valentin wird sich ebenfalls hier in der Nähe aufhalten. Ich rechne sogar damit, daß er das Kloster betritt oder schon hier ist. Er lauert nur auf einen günstigen Zeitpunkt. Einen Mord hat er heute schon begangen. Seine Aufgabe ist schrecklich. Er wird dafür sorgen, daß man die alten Gesetze einhält. Der Tod muß stärker sein als die Kraft der Engel. Es gab immer wieder Zeiten, wo sich die Engel offenbart haben, doch selten waren sie so intensiv wie heute. Die Zeit der Engel ist da, aber auch die Zeit des Bösen. Darauf solltest du dich nicht konzentrieren, Lucia. Lade die beiden Männer ein, zeige ihnen alles, weihe sie ein, sie werden dich ebenfalls einweihen…«
Die Äbtissin nickte. Sie hatte noch Fragen. »Und du? Was ist mit dir, Maria?«
»Ich suche Valentin. Ich muß ihn finden, bevor er hier ein gewaltiges Unheil anrichtet. Ihm würde es nichts ausmachen, nur Leichen zu hinterlassen, denn er ist der Tod. Er sieht sich selbst so. Er ist die Vernichtung des Lebens…«
»Das hört sich furchtbar an.«
»Es ist auch furchtbar«, gab Maria zu. Sie schwebte zurück. Für Lucia sah es so aus, als würde sie hinein in die Sonnenstrahlen gleiten und sich dort auflösen.
Das war in der Tat so.
Plötzlich war sie nicht mehr zu sehen. Ihr Geist hatte diese Sphäre verlassen.
Die Leiterin des Klosters blieb unbeweglich stehen und atmete tief durch.
Sie lauschte dem Summen der Insekten, dem leisen Rascheln der Blätter und hörte sich selbst atmen. Schweiß lag auf ihrer Stirn. Eine Begegnung mit Maria wühlte sie jedesmal auf.
Schon oft hatte sie sich gefragt, ob sie mit den anderen darüber reden sollte. Sie hatte es immer wieder abgelehnt. Es gab Geheimnisse, die nicht allen zugänglich gemacht werden sollten, sondern nur denen, die damit auch umgehen konnten.
Vielleicht würde die Menschheit irgendwann einmal reif genug sein, um auch Engel zu akzeptieren, aber das konnte noch sehr, sehr lange dauern. Da machte sich die Äbtissin keinerlei Illusionen.
Nichts war mehr von Maria zu sehen. Sie schaute noch einmal über die Gräber, die vom Sonnenlicht gebadet wurden. Eine geisterhafte Gestalt war nicht zu sehen.
Aber sie war da, das wußte die Äbtissin. Sie würde das Kloster nicht im Stich lassen, obwohl es ihr immer schwerer fiel, so etwas wie einen Schutz zu bilden.
Lucia war eine zähe Frau. Obwohl sie so einsam lebte, kannte sie das Leben. Sie war stets mutig gewesen, hatte in ihrer frühen Jugend den Faschisten getrotzt und auch einmal Kontakt mit der Mafia gehabt, als sie bei einer spektakulären Entführung als Vermittlerin eingeschaltet worden war.
Seltsam, da hatte sie keine Angst verspürt und war mehr als mutig gewesen. Nicht heute.
Zum erstenmal überkam sie die kalte Angst…
***
Solara war völlig durcheinander!
Die junge Nonne mit dem herrlichen Blondhaar wußte nicht, was sie unternehmen oder wie sie sich verhalten sollte. Etwas anderes hatte sie mit der Kraft eines Sturmwindes überfallen und sie völlig aufgewühlt.
Welche Kraft war das?
Hatte sie tatsächlich das Zweite Gesicht, vor dem sie sich fürchtete?
Wenn ja, dann hätte sie es hinnehmen müssen, denn als gläubiger Mensch war sie davon überzeugt, daß auf der Welt nichts ohne Grund geschah und daß es jemand gab, der alles lenkte.
Weshalb ausgerechnet nur sie? Warum hatte sich das Schicksal keine andere ausgesucht?
Es gab ein Geheimnis im Kloster, das stand fest. Solara war noch nicht lange
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