Die Hexenmeister
die Wand gelehnt und die Beine angezogen.
Jetzt kannte sie nur mehr ein Gefühl.
Die Angst!
***
Wir hatten das Kloster erreicht und auch keinerlei Schwierigkeiten bekommen. Im Gegenteil, wir waren sehr freundlich begrüßt worden und warteten nun auf die Äbtissin.
Der Warteraum für Besucher war groß. Er besaß eine gewölbte Decke, einen Steinboden und hohe Regale, die mit Büchern gefüllt waren. Aber auch Blumen standen hier. Ihre bunten Blüten lockerten die schon asketische Strenge auf.
Schlichte Stühle standen als Sitzplätze zur Verfügung, auf die wir aber verzichteten, denn wir hatten lange genug im Wagen gesessen.
Romano Testi war noch immer nicht richtig auf dem Damm. Der Tod seines Vaters und vor allen Dingen dessen Umstände hatten ihn sehr mitgenommen. Er konnte es einfach nicht überwinden, nur um Sekunden zu spät gekommen zu sein. Er wäre auch gern noch in Locanto geblieben, um würdig Abschied zu nehmen, aber in diesem Fall ging der Job vor.
Wir mußten diesen Mörder einfach stellen, bevor er noch mehr Unheil anrichten konnte.
Es ging nach wie vor um den Hexenmeister, den wir zwar nicht mehr gesehen hatten, von dem wir aber überzeugt waren, daß er sich in unserer Nähe aufhielt und dabei jeden der Schritte überwachte. Er war da, er war nur nicht zu sehen und zu spüren.
Einige Minuten vergingen.
Ich stand still und lehnte dabei an der Wand. Mein italienischer Kollege konnte diese Haltung nicht einnehmen.
Unruhig durchwanderte er den Raum und schien dem Echo seiner eigenen Schritte nachzulauschen. Manchmal bewegte er seine Lippen und synchron dazu den Kopf, ohne allerdings etwas zu sagen.
Er hatte schwer an der Vergangenheit zu knacken. Es würde lange dauern, bis er sie überwunden hatte.
»Setz dich lieber, Romano!«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Aber du brauchst dich auch nicht zu quälen…«
»John, ich habe meinen Vater verloren.« Er blieb stehen und holte Luft.
Es sah so aus, als wollte er sich aufpumpen. Seine Augen glänzten, die harte Fassade war zerbrochen. »Ich hätte ihn retten können, ich hätte mich mehr beeilen müssen und…«
»Ich glaube nicht, daß dir das gelungen wäre, Romano!«
Er starrte mich an. »Warum nicht?«
Ich hob die Schultern. »Soll ich es Schicksal nennen? Es kann so vorbestimmt gewesen sein.«
»Kann, muß aber nicht.«
Eine Tür wurde geöffnet, und die Äbtissin, Mutter Lucia, betrat den Besucherraum.
Sie durchschritt die Lichtstreifen nahe der Fenster. Ihr Gesicht war zu erkennen, trotz der Haube, die sie trug. Ich sah das Lächeln auf den Lippen, das jedoch den eigentlichen ernsten Ausdruck nicht überdecken konnte und mir deshalb gezwungen vorkam.
Sie grüßte sehr freundlich.
Wir konnten erkennen, daß sie schon älter war. Bestimmt jenseits der Siebzig. Ihr Gesicht zeigte die Spuren des Lebens. Sie sah nicht verhärmt aus, doch irgendwie gespannt, und sie bewegte sich trotz allem sehr geschmeidig, als wollte sie ihr Alter Lügen strafen.
Wir stellten uns vor. Ihr Lächeln verstärkte sich, und dann sagte sie einen Satz, der uns überraschte. »Ja, Signores, ich weiß genau, wer Sie sind.«
»Ach ja?« fragte Romano Testi.
»Man sagte es mir.« Sie ging nicht auf Einzelheiten ein, sondern bat uns, ihr zu folgen.
Die Äbtissin führte uns in ihr Arbeitszimmer, das sehr aufgeräumt aussah. Einen Computer gab es nicht. Dafür einen großen Schreibtisch, Aktenschränke und eine Sitzgruppe, wo wir unsere Plätze fanden und die Äbtissin fragte, ob wir etwas trinken wollten.
»Wir entscheiden uns für Wasser.«
»Danke, das nehme ich auch.«
Drei kleine Flaschen und drei kleine Gläser standen schließlich vor uns.
Wir tranken die ersten Schlucke, dann stellte ich schon die Frage. »Sie haben uns also erwartet?«
»Ja.«
»Warum?«
Die Äbtissin stellte lächelnd ihr Glas ab. »Würden Sie mir glauben, daß man Sie beide avisiert hat und sogar von einem Sohn des Lichts gesprochen wurde?«
Damit konnte Testi nichts anfangen, ich um so mehr. »Sohn des Lichts? Damit kann ich etwas anfangen, Ehrwürdige Mutter.«
»Sehen Sie.« Sie nickte mir zu. »Dann werden Sie auch das Kreuz besitzen?«
»Richtig.«
»Dürfte ich es sehen? Es soll kein Mißtrauen sein, aber ich bin wirklich gespannt.«
»Gern.« Ich holte das Kreuz hervor.
Die Augen der Äbtissin weiteten sich schon beim ersten Sichtkontakt mit dem Kreuz. »Gütiger Himmel, ist das wunderbar«, hauchte sie. »Darf ich es anfassen?«
»Bitte sehr.« Sie nahm
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