Die Himmelsbraut
besonderen Gnadenbeweisen beschenkt worden, sodass ihr ganzes Gemüt im Glauben aufging. In ihren Visionen fand sie Zugang zu allen Heiligen, mit denen sie so vertraut verkehrte wie mit einer leiblichen Familie, und später im Kloster sagte sie oft, sie wisse besser, wie es im Himmel zugehe als in ihrem Konvent.»
Sie hielt kurz inne, um Magdalena ein liebevolles Lächeln zu schenken. Die Nonnen um Schwester Columbina begannen unruhig zu werden. Die eine wippte mit den Füßen, die andere kratzte sich an der Nase, die nächste gähnte. Man merkte ihnen an, wie sie dieser Angelegenheit überdrüssig wurden. Zumal mit jenem göttlichen Gnadengeschenk ihrem weltlichen Lotterleben ein einstweiliges Ende gesetzt war.
«Nun hatte diese Schwester Heiltraut in ihrem Konvent nach und nach einige Ämter übernommen, und gleichermaßen, wie sie sich für das Gemeinschaftsleben stark machte, verlor sie die Verbindung zu den Heiligen und Engeln. Erst als man sie von all den Ämtern entband, fand sie wieder zu ihren Visionen zurück. – So wollen wir denn auch unsere Mitschwester Maria Magdalena von ihren Ämtern entheben. Das Almosenamt wird künftig von unserer Küchenmeisterin Schwester Xenia versehen, und um die Kranken wird sich unsere Gartenmeisterin Schwester Hilde kümmern, da sie ohnehin die Kräuterapotheke bestellt. Habt ihr beiden dem etwas entgegenzusetzen?»
Auf den Gesichtern der Angesprochenen war wenig Freude zu sehen, doch nicht einmal Schwester Xenia murrte. Antonia hingegen war bestürzt. Nicht nur dass die Rationen für die Armenspeisung von nun an noch kümmerlicher ausfallen würden. Nein, nun würde Magdalena womöglich der letzte Halt genommen werden, denn sie hatte ihren Dienst an den Kranken und Armen immer gerne ausgeführt.
Erst um Michaelis, als die Tage spürbar kürzer und kühler wurden, geschah es wieder. Es war während der Eucharistiefeier der Sonntagsmesse. Magdalena hätte als Nächste hervortreten sollen, um aus der Hand von Pfarrer Bonifaz die Kommunion zu empfangen, als sie stattdessen erstarrte. Ihr Blick war auf das riesige Holzkreuz gerichtet, das über dem Hauptaltar von der Decke hing, während ihr Mund kurze, lautlose Seufzer ausstieß. Plötzlich presste sie ihre Arme gegen die Brust, als hätte sie dort starke Schmerzen, dann bog und krampfte sich ihr schmächtiger Körper, erbebte wie bei einem Veitstänzer.
Antonia war drauf und dran, ihr zu Hilfe zu eilen, doch ein eisenharter Griff hielt sie am Arm zurück. Es war Agnes, die sie mit wütenden Augen anfunkelte. So blieb Antonia nichts übrig, als mit anzusehen, wie ihre Schwester minutenlang kämpfte und litt, bis sie zu Boden stürzte und dort regungslos, mit ausgestreckten Armen und Beinen, liegen blieb.
Ein Raunen ging durch die Menge der Kirchgänger jenseits des Lettners. «Wahrhaftig, eine Vision!» – «Sie hat Gott geschaut!» – «Ein Gnadengeschenk.» So und ähnlich hörte Antonia die Menschen erregt flüstern, bis der Gottesdienst wieder seinen Lauf nahm. Am Ende lag Magdalena noch immer da wie zuvor, den Priester und die Priorin an ihrer Seite, die sich beide mehrfach bekreuzigten, bis Pfarrer Bonifaz seinen Ministranten ein Zeichen gab, sie aufzurichten. Auf einem eiligst herbeigeschafften Brett trugen sie Magdalena durch das Kirchenschiff zum Hauptportal, vorweg der Priester, das Vortragekreuz in die Luft gereckt, gefolgt von Mutter Camilla und den Nonnen. Das Volk wich auseinander, und jeder, der einen Blick auf die Leblose erhaschen konnte oder gar eine Berührung, beugte das Knie und bekreuzigte sich. Dann ging es in einer langen Prozession hinaus auf den Kirchenvorplatz, der dreimal umrundet wurde. Bei alledem blieb Magdalena ohne Bewusstsein, und Antonia fragte sich voller Bangen, ob sie überhaupt noch am Leben sei.
Während des abschließenden Vaterunsers in der Portalhalle indessen hob Magdalena die Hände, beim Amen richtete sie sich auf und ließ sich von den Ministranten vom Brett helfen. Pfarrer Bonifaz segnete sie mit Handauflegung.
«Ich werde Schwester Maria Magdalena in ihre Kammer geleiten», beschied die Priorin. Sie strahlte zufrieden. «Kommt nachher in mein Haus, Herr Pfarrer, auf dass ich Euch berichten kann.»
Bonifaz nickte ergriffen. Sein sonst so blasses Gesicht war rot vor Aufregung, das dunkle Haar klebte schweißnass auf der Stirn. Als er sich anschickte, in Richtung Sakristei zu eilen, lief Antonia ihm nach.
«Bitte wartet, hochwürdiger Herr Pfarrer.»
Der Pfarrer
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