Die Himmelsbraut
Hingabe sie aus Weidenkätzchen, Buchs und Wacholder ihren Palmbuschen band. Sie standen alle zusammen im Kreuzgang, in den die Abendsonne ihre letzten Strahlen schickte. Vielleicht war ja dieser heutige Tag ein Neuanfang für Liebfrauenwalde. Ein Neuanfang für fünf Nonnen und eine treue Laienschwester. Und mit Veränderungen hatten sie schon begonnen. So würden sie ab morgen wieder der Sonntagsmesse von ihrer Empore aus folgen, ganz wie es die Regel für Chorfrauen vorschrieb, und bereits heute Abend den schönen Brauch der Waschung wiederaufnehmen, der in Marienau an jedem Sonnabend gepflegt wurde. Als Antonia daran zurückdachte, wie die Äbtissin und die jeweiligen Schwestern des Küchendienstes allen Nonnen vor dem Nachtmahl Füße und Hände gewaschen hatten, überfiel sie fast so etwas wie Heimweh.
39 Liebfrauenwalde, Palmsonntag 1525
S o lasst uns denn zur Palmweihe hinuntergehen», sagte Euphemia feierlich.
Sie hatten eben ihr Gebet beendet. Von draußen drang bereits das Stimmengewirr des Kirchenvolks herauf, das aus den Dörfern zusammengekommen war, um sich zur Prozession zu sammeln.
Während sie die Treppe hinunterstiegen, wurden einzelne Rufe laut. Antonia beschlich ein ungutes Gefühl, als sie auf die Pforte zugingen, die vom Kreuzgang auf den Kirchenvorplatz führte. Das klang nach allem anderen als nach festlich gestimmten Kirchgängern.
«Lasst mich vorausgehen», entschied Euphemia. Beherzt öffnete sie die Tür. Sogleich wurde der Lärm lauter, und man verstand einzelne Satzfetzen.
«Wo bleibt der Pfaff’?» – «Heraus mit ihm!» – «He, Bonifaz, wir haben dir was zu sagen!»
Euphemia wollte die anderen Nonnen zurückhalten, doch Antonia war schon an ihr vorbeigeschlüpft. Vor der Kirche wimmelte es von Menschen, von Männern und Frauen, die sie teils als klösterliche Zinsbauern kannte, teils noch nie gesehen hatte. Indessen hielten sie keine Palmsträuße in den Händen, sondern Knüppel, Äxte, Sicheln und Sensen. Antonia stockte der Atem.
In diesem Augenblick öffnete sich langsam ein Flügel des Kirchenportals, und Pfarrer Bonifaz schob sich heraus. Das geschmückte Vortragekreuz hielt er wie einen Schutzschild vor sich her.
«Ihr Gottlosen! Ihr Sündigen!», rief er mit verzerrtem Gesicht. «Wie könnt ihr diesen heiligen Sonntag derart beschmutzen!»
«Halt’s Maul, Bonifaz. Wir wollen unseren Pfaffen selber wählen!», brüllte ein kräftiger Kerl, der sich auf eine Holzkiste gestellt hatte. «Hinweg mit euch Messepriestern! Hinweg mit den Heiligenbildern! Wir wollen das reine Evangelium hören, in deutscher Sprache, und nicht euern lateinischen Mist!»
Der Pachtmüller des Klosterdörfchens Moosgrund, den Antonia vom Sehen kannte, drängte ihn von der Kiste. «Wo ist der Schaffner? Hält sich der Hasenfuß in der Kirche versteckt? Sag ihm, dass wir die Abgaben verweigern. Dieses Ketzerkloster hat uns lang genug ausgepresst.»
Daraufhin war wieder lautstark der Erste zu vernehmen: «Da die Priorin abgehauen ist, so wollen wir euch Klosterleut’ auch nicht mehr als unsere Herren ansehen!»
«So soll es ein. Hinweg mit allen Klöstern», begann nun eine Frau zu kreischen, und Antonia erkannte Bertha. «Hinweg mit allen Kelchbuben und Kuttenbrunzern! Los, ihr Männer, worauf wartet ihr noch? Schlagt Tür und Tor zusammen mit euren Äxten, holt die Kirchenschätze, die von unserm Blut und Schweiß erkauft sind, werft die Hostien dem Vieh zum Fraß vor, versenkt die Heiligen im Mühlbach!»
«Johoo! Auf geht’s!»
Zu spät wollte Bonifaz sich retten und den Türflügel hinter sich wieder zuschlagen. Der erste Haufen hatte bereits die Vorhalle gestürmt, Bertha mittendrin. Unter einem Keulenschlag ging der Pfarrer zu Boden und gab damit den Weg in die Kirche frei, während eine andere Meute in Richtung Priorat rannte.
«Herr im Himmel, steh uns bei!», entfuhr es Antonia in einem Schreckensschrei.
Eine Gruppe von Frauen nächst ihrer Pforte hielt inne.
«Seht nur – da wagen sich noch welche aus ihrem Loch.»
«Ich bitt euch, gute Frauen, hört auf mit diesem Frevel.» Antonia gab sich Mühe, das Getöse zu übertönen. Vom Haus der Priorin her hörte man jetzt Holz splittern. «Geht wieder heim zu euren Kindern.»
«Frevel? Das sagt die Richtige», höhnte eine Bäuerin, mit Schultern wie ein Mann und einem Dreschflegel in der Hand. «Ihr Nonnen seid es, die gegen Gott sündigen! Weil ihr weder arbeitet noch Kinder kriegt! Schlimmer noch als Huren seid ihr! Pfui
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