Die Himmelsbraut
durchnässten bodenlangen Chorgewands. Jetzt war das Feuer im Dachstuhl und auf der Nonnenempore auch zu hören, es fauchte und prasselte wie bei einem Gewittersturm. Ohne Zweifel würde das Kloster bis zu den Grundmauern niederbrennen.
Als sie endlich im Freien standen, rangen sie nach Luft.
«Zieh die Kukulle aus», befahl Antonia. «Wir müssen rennen, was das Zeug hält.»
Magdalena tat wie ihr geheißen, wickelte die kostbare Reliquie in ihren Schurz und lief los. Gerade als sie durch die Seitenpforte das Kloster verlassen wollten, hörten sie hinter sich eine Männerstimme:
«Potzhundertgift! Sagt mir, dass ich nicht träum! Da vorn läuft junges Nonnenfleisch!»
Antonia fuhr herum. Ein junger, milchgesichtiger Knecht starrte sie an, während seine Kumpane aus dem Kelleraufgang heranschwankten.
«Auf geht’s, Männer, hinterher!»
Antonia zog ihre Schwester den Fahrweg hinauf, der hier an der Außenmauer entlang talaufwärts bis zum nächsten Dorf führte, als sie die Menschenmenge oberhalb des Klosters bemerkte. Unter johlender Freude begaffte die Meute, wie Liebfrauenwalde nach und nach in Flammen aufging. Antonia blieb stehen und blickte sich angstvoll um. Zurück konnten sie nicht, da die betrunkenen Männer bereits durch das Tor drängten. Blieb ihnen nur, quer über das mit Büschen durchsetzte abschüssige Wiesenstück zu fliehen, in der Hoffnung, rechtzeitig das schützende Unterholz des Waldes zu erreichen.
Was nun folgte, war ein einziger Alb. Das nasse Gras unter ihren glatten Ledersohlen ließ sie immer wieder ausgleiten, sodass sie kaum vorwärtskamen. Derweil wurde das Geschrei hinter ihnen lauter, doch Antonia wagte nicht, sich umzusehen. Zu sehr war sie darauf bedacht, nicht seitlich den Hang hinabzurutschen und zugleich ihre Schwester, die ihren Schatz fest umklammert hielt, beim Arm zu halten.
«Ich kann nicht mehr», hörte sie Magdalena keuchen.
«Du musst! Gleich haben wir’s geschafft. Da vorn bei den Büschen ist die Schürzach und dahinter der Wald. Dort findet uns keiner, wenn’s dann dunkel wird.»
Fast auf einen Steinwurf waren ihre Verfolger herangekommen, als sie endlich die Schürzach erreichten. Doch das hier war nicht mehr der flache, gemächlich dahinfließende Bach, wie sie ihn von ihren wenigen Ausflügen her kannte, sondern ein reißender Fluss. Sie hatte nicht an die Schneeschmelze gedacht, die vor kurzem eingesetzt hatte. Jetzt toste das Wasser in schäumender Gischt zwischen den Felssteinen und schien jeden zu warnen, sich dem Ufer zu nähern.
«Wir müssen da durch. Gib mir deine Hand.»
«Ich kann nicht mehr», wiederholte Magdalena und wankte hin und her. Sie war tatsächlich am Ende ihrer Kraft.
«Wir müssen», entschied Antonia. Ihre Augen suchten fieberhaft nach einem geeigneten Einstieg. «Oder willst du dieser Horde Mannsbilder in die Hände fallen?»
Sie zog ihre Schwester zum Ufer, nahm ihr die Reliquie aus der Hand und setzte den ersten Schritt ins Wasser. Es war eiskalt und durchdrang sofort das dünne Leder ihrer Schuhe.
«Komm.»
Schritt für Schritt tasteten sich ihre Füße durch das steinige Bett des Baches. In seiner Mitte reichte ihnen das Wasser bis zur Hüfte, die Strömung drohte sie bei jeder Bewegung mitzureißen, und Antonia hielt das Heilige Kreuz hoch über sich in die Luft. Hinter ihnen hörten sie lautes Gelächter.
«Dreh dich nicht um», warnte Antonia. Doch es war zu spät. Magdalena hatte den Oberkörper zurückgewandt, geriet aus dem Gleichgewicht und stürzte. Antonia wollte sie auffangen, doch sie selbst wie auch das Gewand ihrer Schwester waren klatschnass. So bekam sie nichts zu fassen, hielt nur Magdalenas Schleier in der Hand, während ihre Schwester hart mit dem Hinterkopf auf einem Fels aufschlug. Verzweifelt versuchte Antonia, sie aufzurichten. Dabei entglitt ihr die Reliquie mit dem Kreuzsplitter des Heilands, hüpfte ein paarmal zwischen den Steinen auf und ab, bis sie von den Stromschnellen erfasst und für immer verschwunden war. Der junge Knecht, der jetzt dicht bei der Uferböschung stand, glotzte mit offenem Maul herüber.
«So helft mir doch», schrie Antonia, als Magdalenas Gesicht unter Wasser geriet. «Hilfe!»
Wie ein schwerer, glitschiger Fisch wand sich Magdalenas Körper in ihren Armen, bis ihr Kopf endlich wieder aus dem Wasser auftauchte. Dabei rutschte Antonia selbst zu Boden, versuchte vergeblich, sich aufzurichten, zerrte und schleifte den reglosen Körper ihrer Schwester schließlich
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