Die Himmelsbraut
auf Knien durch das tobende Wasser ans rettende Ufer. Die Männer auf der anderen Seite waren verschwunden.
«Wir haben’s geschafft, Lena! Wir haben’s geschafft!»
In einer letzten Kraftanstrengung stemmte sie Magdalena von unten die Böschung hinauf und schob sich selbst hinterher. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper, die Schuhe hatte sie in der reißenden Strömung verloren.
«Lena? So sag doch was.»
Antonia klopfte ihr gegen die blutleeren Wangen, drehte sie auf die Seite, so gut es ging in diesem stachligen Gebüsch, bis ihr Mund endlich einen Schwall Wasser ausstieß.
«Warte, ich zieh dich auf die Wiese. Wirst sehen, alles wird gut.»
Vorsichtig legte sie ihr eine Hand unter den Nacken, die andere unter die Hüfte und hob sie auf die angrenzende Uferwiese. Doch Magdalena rührte sich nicht. Als Antonia ihre Hand zurückzog, war sie voller Blut. Da erst entdeckte sie die klaffende Wunde an Magdalenas Hinterkopf.
Einen Augenblick lang war Antonia wie gelähmt vor Entsetzen. Dann zog sie sich ihr Skapulier über den Kopf und verband damit notdürftig Magdalenas Schädel.
«Bleib still hier liegen, ich geh Hilfe holen.»
Sie küsste ihre Schwester auf die Stirn.
«Brauch keine …», hörte sie sie flüstern. «Ich kehre heim … Verlasse den Kerker dieser Welt …»
«Nein!»
«Er holt mich … er ist schon da – mein geliebter Bräutigam … Geleitet mich – zum himmlischen Vater …»
Da wusste Antonia, dass der Tod schon bereitstand.
«Ich will … dir … meine Sünden bekennen …»
Antonia legte ihrer Schwester die Hände vor der Brust zusammen, während ihr die Tränen übers Gesicht strömten. Es war zu spät, einen Priester zu holen. Das, was jeder Christenmensch am meisten fürchtete, war eingetreten, nämlich ohne den Beistand eines Priesters sterben zu müssen. Doch hatte nicht der Apostel Jacobus gesagt,
bekennet einander eure Sünden und betet füreinander
?
In abgehackten, kaum verständlichen Worten begann Magdalena zu sprechen: von ihrem Hochmut im Glauben, von der Trägheit ihres Herzens gegen die Nöte anderer Menschen, ihrer Kälte gegenüber Antonia. Diese schüttelte dabei ein ums andre Mal den Kopf, wie um Magdalenas Sündhaftigkeit zu verneinen, denn in ihren Augen war Magdalena beinahe engelsgleich. In Wirklichkeit aber wollte sie einfach nicht wahrhaben, dass der Tod seine Knochenhand unwiderruflich nach Magdalena ausgestreckt hatte.
Sie legte ihrer Schwester die Hand auf die Stirn. «Jesus wird dir deine Sünden vergeben und dir das ewige Leben schenken. Amen.»
«Da ist … noch was … Ein Brief von Phillip – damals … Ein Liebesbrief … Aber ich wollte nicht, dass du … dass du mich verlässt.» Magdalena öffnete die Augen. «Verzeihst du mir?»
«Ja», schluchzte Antonia, ohne recht zu begreifen, was ihre Schwester ihr da soeben gebeichtet hatte.
«Wirst du also für mich beten?» Ihre Stimme war nur noch ein Hauch.
«Ja, Lena. Und ich werd einen Priester finden, der dir die Absolution gewährt. Sorge dich nicht.»
Magdalena lächelte. Dann brach ihr Blick, und ihr Kopf sank zur Seite.
Über die Wiese jenseits der Schürzach flutete plötzlich ein letztes, gelbwarmes Sonnenlicht, während über Liebfrauenwalde dichter Rauch in den Abendhimmel stieg. Antonia spürte weder Kälte noch Nässe und auch keine Angst mehr, als sie die beiden Männerstimmen jenseits des Baches vernahm.
«Da drüben am Wald sind sie. Das wird einen Spaß geben!»
«Gütiger Herr im Himmel – ich glaub fast, die eine ist tot.»
40 Auf dem Schwarzwald, nach Palmsonntag 1525
B ei Einbruch der Nacht hatten sie Magdalena zu Grabe getragen. Ein junger Priester – oder Prädikant, wie er sich selbst nannte – hatte der Toten noch die Absolution erteilt, bevor die Männer sie in die frisch ausgehobene Grube bei der Dorfkapelle von Moosgrund legten. Da erst wurde Antonia ruhiger.
Als die beiden Bauernburschen, die sie aufgespürt hatten, sie am Waldrand von ihrer toten Schwester hatten wegzerren wollen, hatte sie getobt und um sich geschlagen wie ein Veitstänzer. Hatte nicht aufgehört zu schreien, bis der eine, ein schwarzbärtiger Kerl mit tiefer Narbe auf der Stirn, ihr eine kräftige Maulschelle verpasst hatte. Von da an erinnerte sie sich nur noch in Bruchstücken. Irgendwie hatten sie an anderer Stelle wieder die Schürzach überquert, wo das Wasser bedeutend flacher und friedlicher strömte, wo am Ufer zwei Maulesel warteten, auf dessen Rücken im
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