Die Himmelsbraut
Euch sogleich ein Pferd zu nehmen und nach Holderstein zu reiten. Euer ergebener Diener Johann.
Die Nachricht trieb Phillip die Tränen in die Augen – vor Bestürzung und vor Scham. Was, wenn es nun zu spät war? Und das nur weil er in seiner tiefen Enttäuschung den Besuch beim Vater immer wieder hinausgeschoben hatte?
Hastig packte er ein paar Kleidungsstücke zu einem Bündel zusammen und eilte in die Küche. Dort bat er die Köchin, ihm seine Wasserflasche zu füllen und eine Brotzeit für unterwegs zu richten.
«Ist Doctor Molitoris in seiner Studierstube?»
«Nein, Herr. Er ist noch beim Senat, wegen der neuen Prüfungsordnungen.»
«Dann richte ihm bitte aus, dass ich nach Hause reiten musste. Mein Vater ist schwer krank.»
Keine halbe Stunde später hatte er sich im Mietstall einen kräftigen Falben ausgesucht.
«Und Ihr wollt gewiss keinen Knecht mitnehmen?», fragte der Stallmeister, der ihm beim Satteln und Aufzäumen zur Hand ging. «In diesen Zeiten ist es gefährlich, allein durch die Gegend zu reiten.»
Phillip schüttelte den Kopf. «Ich bin gut bewaffnet. Das muss reichen.»
In Wirklichkeit fehlte ihm schlichtweg das Geld, um neben dem Pferd auch noch einen Begleiter zu bezahlen.
Unter dem Mittagsläuten des Münsters verließ er die Stadt. Er musste an sich halten, sein Ross nicht zu sehr anzutreiben, denn er hatte einen weiten Weg vor sich. Zudem hatte es die letzten Tage fast ununterbrochen geregnet, sodass die Wege teilweise völlig verschlammt waren und er immer wieder absteigen musste, weil sein Pferd ins Rutschen kam. Wenigstens schien es heute trocken zu bleiben, und er kam schneller voran als die kleinen Gruppen von Wanderern oder Fuhrwerken, die er kurz hinter der Stadt überholte.
Da er allein unterwegs war, wurde ihm jedes Mal mulmig zumute, wenn er über eine längere Wegstrecke keinem Menschen begegnete. Zwar hatte er sich vor einiger Zeit eine dieser neuartigen Pistolen besorgt, wusste indessen kaum damit umzugehen. Und gegen wen sollte er sie einsetzen? Gegen Schnapphähne und Wegelagerer, die sich als Landvolk tarnten? Oder gegen aufrührerische Bauern, die ihn, einen Edelmann, als Feind ausmachten? Womöglich würde er sogar unfreiwillig in einen Kampf zwischen Bauern und städtischen Söldnerscharen geraten, schließlich stand inzwischen der ganze Oberrhein in Aufruhr – auch wenn kein Mensch mehr wusste, was an all diesen aufgeregten Nachrichten, die von Ort zu Ort eilten, Wahrheit und was Gerücht darstellte.
Wie auch immer – für ihn bedeutete das ein wahrer Spießrutenlauf, und er würde jedem aufständischen Gebiet ausweichen müssen, wollte er morgen wohlbehalten auf Holderstein ankommen. Einmal mehr dachte Phillip dabei an seinen Freund Egbert, und fast bewunderte er ihn für seinen Mut der Parteinahme. Er selbst war kein Kämpfer des Schwertes, weder für die eine noch für die andere Seite, auch wenn sein Herz klar auf Seiten des Landvolks schlug.
Die Wut der Bauern musste inzwischen grenzenlos sein, nachdem drüben in Oberschwaben, jenseits des Schwarzwaldes, der berüchtigte Truchsess von Waldburg an den aufständischen Bauern ein gnadenlos blutiges Exempel statuiert hatte. Anscheinend hatte er den Haufen des Bodensees und des Allgäus zunächst versprochen, ihre Forderungen des Weingartner Vertrages zu erfüllen, sofern sie die Waffen ablegten und in ihre Dörfer zurückgingen – nur um hernach mit seinen gepanzerten Reitern ein Dorf nach dem anderen zu überfallen und die wehrlosen Bewohner niedermetzeln zu lassen.
Hatte Phillip anfangs noch überlegt, die Familie des Markgrafen Ernst auf der nahen Burg Hachberg aufzusuchen, um sich dort nach der Lage längs seines Reiseweges zu erkundigen, so musste er diese Absicht bereits bei der ersten Rast hinter Freiburg aufgeben. Als er bei dem Dörfchen Denzlingen am Eingang des Glottertals sein Pferd tränkte, sah er einen Trupp markgräflicher Reiter, acht Mann stark, auf sich zutraben. Rasch zog er das Banner mit dem Holderstein’schen Wappen aus der Satteltasche, um sich zu erkennen zu geben.
«Seid gegrüßt, Edler.» Der Anführer zügelte sein Pferd und musterte das schräggeteilte Wappen. «Ihr reitet für den Reichsritter Holderstein aus der Ortenau?»
«Ich bin Junker Phillip, sein jüngster Sohn, und auf dem Weg nach Hause.» Er deutete nach Norden, in Richtung der Feste Hachberg. «Ist die Burg bedroht?»
«Wie man’s nimmt. Unsere Kundschafter haben in Erfahrung gebracht, dass der hiesige
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