Die Himmelsbraut
Dort führte sie mit den Mädchen persönliche Gespräche über Glaubensdinge und Lebensfragen.
Antonia war, wie die meisten anderen Mädchen auch, begeistert von diesem frischen Wind, den Camilla von Grüningen in ihren Alltag brachte. Die Bürde der Klausur wurde ihr auf einmal um einiges erträglicher. Ihr gab vor allem der Gesang sehr viel und auch, dass sie nun endlich täglich im Kräutergarten arbeiten durfte, der in einem Winkel zwischen Friedhof, Kirche und Klostermauer lag. Ihre Aufgabe dort war es, Unkraut zu jäten, die Krume zu lockern oder zu gießen, und sie genoss die Stunden an der warmen Sommerluft mit jeder Faser ihres Körpers. Zugleich wünschte sie sich, bald einmal zusammen mit Mutter Camilla hinaus in den Weinberg zu dürfen.
Auch Vrena blühte auf. In der Zeit nach ihrer Kerkerstrafe hatte sie verändert gewirkt – unruhig und angespannt wie ein schreckhaftes Pferd, dann wieder verschlossen und in sich gekehrt. Antonia hatte sich schon Sorgen gemacht. Jetzt war ihre Freundin endlich wieder die alte, war wieder das kecke, lustige Mädchen, als das Antonia sie kennengelernt hatte. Was kein Wunder war, da Mutter Camilla sie zu einem ihrer Lieblinge auserkoren hatte. So musste Vrena nur zweimal niesen, um auch schon von Arbeit und Messe befreit zu werden oder bei den Mahlzeiten einen gesonderten Nachschlag zu erhalten.
«Von mir aus kann unsere Äbtissin für immer wegbleiben», raunte Vrena ihr ins Ohr, als sie einmal Arm in Arm durch den Kreuzgang wandelten. Ungeniert konnten sich die Konventualinnen hier inzwischen unterhalten, wenn auch mit gesenkter Stimme. «Stell dir vor, Antonia – morgen darf ich die Priorin zur Inspektion der Weinberge begleiten. Und ich meine nicht den kleinen Rebgarten beim Kloster, sondern den draußen am Tuniberg! Einen ganzen Nachmittag sind wir fort, und das bei diesem herrlichen Wetter! So stell ich mir das Klosterleben vor.»
Antonia gönnte der Freundin diesen Ausflug. Dennoch vermochte sie sich nicht wirklich mit ihr zu freuen. Sie hatte gegenüber Camilla von Grüningen von der allerersten Begegnung an ein leichtes Unbehagen verspürt, das sich jetzt nur noch verstärkte. Mochte sich die Priorin den Mädchen auch noch so offen und überschwänglich zuwenden – auf Antonia wirkte das alles irgendwie künstlich.
«Da hast du wirklich Glück», erwiderte sie. «Und ich hoffe ehrlich, dass es anhält.»
«Wie meinst du das?»
Antonia zögerte. Sie blickte sich um, ob niemand in ihrer Nähe war. «Ist dir nicht aufgefallen», flüsterte sie, «dass meine Schwester die allererste war, die sich die Priorin zur Seite nahm? Sie durfte die Priorin bei ihren Exerzitien und Bußübungen begleiten und sollte regelmäßig bei den Chorproben vorsingen.»
«Ja und? Mutter Camilla hat eben erkannt, wie ernsthaft Maria Magdalena den Glauben lebt. Und eine hübsche Stimme hat sie auch.»
«Unsinn. Magdalena trifft jeden dritten Ton daneben.» Sie unterbrach sich. Agnes wandelte dicht an ihnen vorüber, mit gesenkten Lidern und gefalteten Händen und tat, als sei sie ins Gebet vertieft.
Antonia zog ihre Freundin in die andere Richtung. «Was ich dir sagen will: Von einem Tag auf den andern war meine Schwester plötzlich Luft für die Priorin – genauer gesagt, von dem Tag an, als
du
in ihrer Gunst aufgestiegen bist. Womöglich ergeht es dir bald genauso. Du kennst doch das Wort: Das Wetter nicht bestehet und Herren Gunst vergehet.»
Ihr Gefühl sollte Antonia nicht trügen. Wie das hochsommerliche Wetter, das nun mit schwüler Hitze, Gewitter und Wolkenbrüchen daherkam, wechselte Camilla von Grüningen ihre Launen und Vorlieben. Mal hielt sie die Mädchen zu mehr Pflege ihres Äußeren an, dann wieder verdammte sie ebendies als sündhafte Eitelkeit. An den Chorproben und am Schulunterricht der Novizinnen verlor sie das Interesse, sodass Mutter Petronella bald wieder schalten und walten konnte, wie es ihr beliebte. Dafür legte sie nun eine unerwartete Leidenschaft für die Heilkunst an den Tag. Gegen den Willen der Siechenmeisterin wurde der halbe Kräutergarten umgestaltet, und die Novizinnen mussten alle zwei Wochen im Krankensaal aufmarschieren. Pünktlich zu Voll- und Neumond wurden sie dort im Beisein der Priorin zur Ader gelassen, und nur wer seine monatliche Blutung hatte, wurde ausgenommen. Zur Stärkung gab es hernach jedes Mal Bier und feines Weißbrot, soviel man wollte.
«Drei gute Gründe will ich euch hierfür nennen», hatte sie den erstaunten
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