Die Himmelsbraut
dass es ihr bewusst war, schüttelte sie den Kopf.
«Was hast du?», fragte Dorothea.
«Ich denke, ich werde hernach zu Mutter Lucia gehen.»
«Du willst das Gelübde nicht ablegen?» Dorothea sah sie bestürzt an. «Da wärst du die erste Novizin, die ich kenne. Und ich lebe schon seit vielen Jahren im Kloster.»
Ein schrecklicher Gedanke schoss Antonia durch den Kopf: «Dann darf man möglicherweise überhaupt nicht zurücktreten?»
«Ich weiß es nicht.»
Nein, das konnte nicht sein. Niemand würde sie zwingen können hierzubleiben. Hieß es doch in den Regeln des heiligen Benedikt:
Siehe das Gesetz, unter dem du dienen willst; wenn du es beachten kannst, tritt ein, wenn du es aber nicht kannst, geh in Freiheit fort
.
«Setz dich, mein Kind. Setz dich mir gegenüber.»
Die Äbtissin wies auf die Holzbank vor ihrem Lehnstuhl, und Antonia nahm Platz. Mutter Lucia umfasste ihre beiden Hände, der Blick aus ihren hellen Augen war warm und freundlich.
«Du zweifelst also, Schwester Antonia, dich Jesus Christus anzuverloben.» Auch ihre Stimme war sanft. Es war kein Vorwurf darin zu hören.
«Ja, ehrwürdigste Mutter. Ich zweifle, ob ich für das Leben im Kloster geschaffen bin.»
«Nun – der Zweifel ist das Vorrecht der Jugend. Und glaube nicht, dass auch wir Alten davon frei wären. Du weißt ja, was in der Schrift steht:
Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich
. Du hingegen bist jung, und Gott hat dir einen hellen Verstand geschenkt. Nutze ihn auch jetzt. Betrachte deine Zweifel nicht wie einen Feind, sondern wie einen Freund, und dann prüfe sie.»
Sie hielt einen Augenblick inne, wie um ihre Worte auf Antonia wirken zu lassen. Schließlich fuhr sie fort:
«Zweifelst du daran, dein Leben und dein Handeln auf den Glauben ausrichten zu können?»
Hierüber musste Antonia nicht lange nachdenken. «Nein, ehrwürdigste Mutter.»
«Zweifelst du daran, ein mönchisches Leben führen zu können, eine Vita apostolica nach Christus und den Aposteln, in Armut, Keuschheit und Gehorsam?»
Antonia zögerte. «Ihr möchtet eine ehrliche Antwort, nicht wahr?»
«Die erwarte ich sogar, Schwester Antonia.»
«Nicht die Befolgung der evangelischen Räte fürchte ich. Es ist vielmehr die – die strenge Klausur. Jesus und seine Jünger zogen doch auch umher und lebten nicht eingesperrt in einem Kloster.»
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Äbtissin. «Da hast du recht. Aber unsere Gefolgschaft im Geiste Christi ist eine andere. Wir wollen nicht die Welt zum Christentum bringen, sondern in Christus leben, als Bräute Christi. Dazu gehört auch, den Anfechtungen der Welt zu widerstehen. Die Klausur hilft uns dabei, bietet uns den Schutz der Gemeinschaft, der schwesterlichen Liebe, in deren Mitte wir Gott suchen und finden. Und noch etwas: Zum Glauben gehört immer auch das Ringen mit Gott, gerade dann, wenn er uns scheinbar keine Antworten auf unsere Fragen gibt.»
Da Antonia nichts erwiderte, fuhr sie fort:
«Unsere Klostermauern mögen dir vielleicht manchmal das Leben eng werden lassen. Versuche, die Klausur mit anderen Augen zu sehen. Als einen Ort des Rückzugs, der Stille und der Besinnung, die für Gott empfänglich machen will. Wenn du dich darauf einlässt, wirst du die Klausur als Ort der Freiheit entdecken.»
Antonia schluckte. «Ich weiß nicht, ob ich das vermag. Ich hänge zu sehr an Gottes freier Natur.»
«Gott ist in jedem Ding, und sei es noch so klein. In einer Ameise oder einem Stein unserer Klostermauer liegt mehr verborgen, als man davon versteht. Auch hier ist Gottes Natur. Hier erst recht.»
Sie erhob sich.
«Aber ich will dir noch etwas anderes sagen. Von Frau zu Frau gewissermaßen. Für das weibliche Geschlecht ist das Kloster ein Freiraum ohnegleichen. Hier sind wir nicht mehr Tochter eines Vaters oder Ehefrau eines Mannes, sondern Gleiche unter Gleichen. Wir erfahren Bildung und Kunst wie nirgendwo sonst. Gerade du, die du sehr klug und begabt bist, könntest hier vielfältige Aufgaben wahrnehmen. – Und nun geh, wenn du keine Fragen mehr hast, und denke über meine Worte nach.»
Antonia nickte. «Das werde ich tun, ehrwürdigste Mutter.»
In ihrem Innersten aber hatte sie sich entschieden. Auch draußen in der Welt gab es für Frauen ein Leben jenseits des Schreckens von Kindbett oder gewalttätigen Vätern und Ehemännern, dessen war sie sich sicher. Und was war das letztlich für ein Freiraum, wenn selbst hier im Nonnenkloster die Männer an
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