Die Himmelsleiter (German Edition)
Mischung aus Fremdheit und Vertrautheit. Hinzu kam die Übermüdung. Vielleicht fürchtete er auch, sie könnte ihn oder die Einrichtung für den Selbstmord des Deutschen mitverantwortlich machen.
Doch stattdessen sagte Frau Jamor í freundlich, sie sei gekommen, um die persönliche Habe von Herrn Heilant an sich zu nehmen. Der Arzt antwortete nicht. Der Spalt, der ihm einen kurzen Einblick in diese andere, beunruhigende Welt ermöglicht hatte, begann sich zu schließen. In sein Zögern hinein fügte sie hinzu: "Vorausgesetzt natürlich, dass es keine behördlichen Einwände dagegen gibt."
Moulin gab sich einen Ruck. "Sie meinen wegen des …, der Umstände seines Todes?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, nein, das ist soweit alles in Ordnung." Er führte sie in sein Arbeitszimmer, um die Formalitäten zu erledigen.
Chloé füllte ein Formular aus. Sie hatte eine klare, schnörkellose Schrift. Ihr Blick fiel auf die Disketten und das Material, das der Arzt in dem Umschlag gefunden hatte.
"S ie haben das Manuskript gelesen?" Moulin nickte. "Ich hoffe, Sie glauben nicht alles, was Thomas geschrieben hat."
"Ich wei ß nicht, was ich glauben soll."
"Thomas lebte in einem Wahn. Er war krank … Na ja, Sie wissen das sicher besser als ich." Sie packte die Disketten und die Bach-Akte in ihre Tasche. Dann sah sie ihn offen an. "Er hat sich seine Wahnvorstellungen von der Seele geschrieben. Das ist die plausibelste Erklärung. Wir sollten es dabei belassen."
Dann standen sie im Zimmer des Deutschen. Chloé sah sich flüchtig um.
"Haben Sie Verwendung f ür das alles …. Ich meine, die Kleider, die Wäsche, die Bücher …" Fast hilflos beschrieb ihre Hand einen Kreis. Es war, als habe sie einen Haufen Gerümpel geerbt und wisse nicht, wohin damit.
"Ich denke schon."
"Gut!" Chloé schien erleichtert. "Dann gebe ich es Ihnen zu treuen Händen."
"U nd der Computer?"
Sie dachte kurz nach. "Ja, vielleicht haben Sie recht."
"Warten Sie, ich helfe Ihnen!" Galant nahm Moulin den Rechner selbst am Griff. Für einen Portablen war er schwer. Zehn Kilo, vielleicht zwölf, schätzte er.
In wenigen Minuten w ürde sie aus seinem Leben verschwunden sein. Und mit ihr, das wusste Moulin jetzt, auch seine letzte Chance, mehr zu verstehen, als Thomas Heilant vergönnt gewesen war. Wenn es eine Auflösung gab, dann war sie im Besitz dieser ungewöhnlichen Frau. Hätte er ein wenig Abstand gehabt, hätte er vielleicht die richtigen Worte gefunden. So stand er nur diensteifrig und verwirrt herum. Mehr brachte er jetzt nicht zuwege.
In der T ür blieb Chloé noch einmal stehen, um das Bild mit der Welle zu betrachten. Anstatt ihrem Blick zu folgen, suchte Moulin in ihrem Gesicht nach einer Antwort auf seine ungedachten Fragen. Sie war ernst, und während ihre Pupillen hin und her wanderten, meinte er die gleiche Mischung aus Trauer und Entschlossenheit in ihren Zügen zu erblicken, die der Deutsche beschrieben hatte. Doch dann lächelte sie. Es war das milde Lächeln, mit dem man seine eigenen harmlosen Jugendsünden bedenkt.
Zwei kurze Schritte und sie steht vor dem Poster. Vorsichtig l öst sie den gelblichen Zettel ab, durch den Fuji, der heilige Berg, zu den Menschen spricht, und streicht das Papier darunter glatt.
"Das sollte auch verschwinden, was meinen Sie?"
Es war ihre Schrift.
Chloé nickte. "Altomonte ist mein zweiter Name, wussten Sie das nicht?"
Diese Bewegung, die Hand, die den verblichenen Zettel von seiner Unterlage l öste, wischte auch die letzten Ungereimtheiten hinweg. Darunter kam eine weitere, eine tieferliegende Schicht zum Vorschein. Keinen Augenblick zweifelte Moulin daran, dass das, was er jetzt sah, das eigentlich Wirkliche war. Massimo Altomonte hatte niemals beabsichtigt, sich selbst - oder in Gestalt, von wem auch immer - von diesem letzten aller Experimente abzuhalten. Allein Chloé war dazu in der Lage gewesen. Wenn er, Moulin, noch hier stand, wenige Meter von dem Abgrund entfernt, an dem er, wie alle anderen, ahnungslos entlang gestolpert war, dann verdankte er es ihr. Und Heilant. Auch wenn diesem nur die Rolle des Opfers in der gewagten Kombination vorbehalten gewesen war, mit der Chloé den gegnerischen König mattgesetzt hatte. So sehr er das Schicksal des Deutschen bedauerte, so sicher war er, dass sie keine Wahl gehabt hatte.
Moulin starrte sie an. Sie war stark, st ärker als alle, die er jemals gekannt hatte. Thomas Heilant hatte dies ebenfalls gespürt, ohne es ganz zu verstehen.
"S ie
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