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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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sollte man sich schon ein paar Monate Zeit lassen. Vielleicht antwortete ich deshalb: "Nein, wir haben es nicht eilig. Ich glaube, es ist was Ernsteres."
    Hatte ich geglaubt, diese Äußerung würde ihn erst recht beunruhigen, wurde ich enttäuscht. Er lächelte nur spöttisch und sagte leichthin: "Na, da habe ich wohl keine großen Chancen mehr."
    Zu jenem Zeitpunkt war ich mir recht sicher, den Freund, zumindest in Hinsicht auf Alessandra, klar auf die Plätze verwiesen zu haben. Die Beziehung war zugegebenermaßen nicht im eigentlichen Sinne vollzogen worden - selbst die Kirche schien darauf zu bestehen -, und doch gab es eine zunehmende Verbindlichkeit, eine Zugehörigkeit, die sich auch nach außen zeigte. Wir waren unzweifelhaft ein Paar.
    Pl ötzlich fing Altomonte wieder zu spielen an. Seine Finger huschten über die Tasten, und ich bewunderte die Leichtigkeit, mit der sie sich darauf bewegten. Am Klavier wirkte er ernster als irgendwo sonst. Verschwunden war dann die Ironie, die sonst in seinen Augen blitzte, der Spott, mit dem er auf uns gewöhnliche Sterbliche hinabsah. Vielleicht waren die großen Komponisten die einzigen, die er neben sich duldete. Die Musik war nicht seine Welt, aber er war in der Lage, die Leistung, die darin steckte, nachzuvollziehen und anzuerkennen.
    "Das war das letzte, was Bach je schrieb. Am Ende dieser Fuge war er tot. Sein Sohn notierte auf dem Manuskript: 'Im Verlauf dieser Fuge, an dem Punkt, an dem der Name B-A-C-H als Gegenthema eingeführt wurde, starb der Komponist.'" Auch Altomonte war jetzt fertig. Er lehnte sich zurück. "Ein verrückter Hund dieser JSB. Er komponierte sich seine eigene Grabinschrift: b-a-c-h." Er schlug die Noten noch einmal an. "Selbst sein Tod sollte der Nachwelt noch Rätsel aufgeben", sagte er lachend.

DER SCHAUM DER TAGE
     
    Als ich Alessandra kennenlernte, hatte ich wesentlich mehr Erfahrung als sie. Nicht nur, dass ich ein paar Jahre älter war, sie hatte auch nie eine feste Beziehung gehabt, die länger als ein paar Monate gehalten hätte. Von Susanne hatte ich mich ein Jahr zuvor getrennt. Sie war meine erste ernstzunehmende Liebe gewesen, meine erste Erwachsenenliebe, falls das einen Unterschied macht. Wir hatten uns kurz vor dem Abitur kennengelernt und mehr als vier Jahre zusammen verbracht, hatten sogar regelrecht zusammen gelebt, eine unendlich lange Zeit lang in einem Heidelberger Vorort. Getrennt hatten wir uns vielleicht vor allem aus der Angst heraus, etwas zu verpassen. Zu verlockend erschienen uns die Versuchungen, die das Studentenleben im Übermaß für uns bereithielt.
    Jedenfalls hatte ich schon bald damit begonnen, meinen leichtbekleideten Kommilitoninnen auf den Busen zu schauen, wenn sie mir im Sommer auf der Hauptstra ße entgegenkamen oder in den stickigen Seminarräumen schwitzend gegenübersaßen. So ganz anders als auf dem Gymnasium, wo es in einer Klasse nur zwei oder drei Mädchen gab, die wie wertvolle Vitrinenstücke die Begierden von uns allen auf sich zogen, strotzten Stadt und Uni nur so vor Leben, schien alles um einen herum einen Duft zu verströmen, der die Sinne und den Verstand verwirrte. Ich sehnte mich nach dieser Haut, die sich im Gras der Neckarwiese sonnte, sehnte mich nach den nachlässigen Blicken der langhaarigen Schönheiten in den Kneipen der Altstadt, nach den Bewegungen ihrer Arme und Hüften auf der winzigen Tanzfläche des Jazzkellers . Es war schwer. Und so wie es einem Novizen am Anfang seines Weges ergehen musste, so zweifelte auch ich, ob meiner scheinbaren Bestimmung.
    Susanne und ich verstanden uns gut, auch im Bett. Doch irgendwann machte mich jedes noch so gelungene Liebesspiel nur neugieriger auf die, die kommen sollten. Nie sah ich mich mehr nach anderen Frauen um, als dann, wenn wir gerade aus dem Bett gestiegen waren. Und wir lebten im Schlaraffenland. Nirgendwo sonst konnte es so viele gleichaltrige und ungebundene Menschen im heiratsfähigen Alter geben. Es herrschte ein Überfluss, den wir uns in der provinziellen Kleinstadt nicht einmal erträumt hatten. Wie hätten wir wie ein altes Ehepaar abends vor dem kleinen Schwarzweißfernseher hocken und Händchen halten, das lockende Abenteuer unserer langweilig gewordenen Geborgenheit und Vertrautheit opfern können? Susanne ist es vielleicht genauso ergangen.
    Sie lernte irgendwann einen Musiker kennen, knutschte mit ihm herum und erz ählte mir davon. Ich hatte mich gerade in eine Physikerin aus meiner Arbeitsgruppe verliebt.

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