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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, welche Geheimnisse sie eifersüchtig vor mir hütete und welche neuartigen Genüsse ihr Körper mir würde bieten können. Tatsächlich verspürte ich nichts Besonderes; es war wie immer. Zu meiner Enttäuschung mischte sich Erstaunen. Es war das gleiche Gefühl, das ich nach meinem allerersten Mal mit Siebzehn gehabt hatte: War das alles? Und, wenn es so war, warum machte man dann so ein Aufheben drum? Wie der ungeübte Trinker, der einen guten Wein nicht von einem schlechten zu unterscheiden weiß, war auch mir, als verfügte ich nicht über die notwendigen Rezeptoren. Erst durch Wiederholung, durch behutsame Variation, durch spielerisches Ausprobieren, verfeinerte sich meine Wahrnehmung, konnte ich die verschiedenen Nuancen herausschmecken und jene pflegen, die am vielversprechendsten waren. Es dauerte den ganzen Urlaub bis aus dieser einen Sache ein richtiges Liebesleben geworden war.
    Wir waren seit ein paar Wochen zur ück. Der September stand kurz vor seinem mäßig ereignisreichen Ausklang, als Alessandra mir eröffnete, sie sei schwanger. Wir hatten gerade Flugblätter beim AStA geholt, um sie vor der Mensa zu verteilen. Es hatte geregnet. Es hätte nicht viel gefehlt, und mir wäre der ganze Stapel in eine große Pfütze gefallen. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte. In diesem Augenblick schien es mir wichtigere Dinge als die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels zu geben. Natürlich war es eine Sauerei, dass dieser senegalesische Massenmörder geehrt werden sollte, und auch hinter dem Aufruf, den wir in der Hand hielten - Belagert die Buchmesse! Besetzt die Paulskirche! - standen wir ohne Wenn und Aber. Doch angesichts des Bebens, der unsere kleine, ganz private Welt heimsuchte, verblasste die geplante Aktion des SDS zu einer unbedeutenden Notiz auf den hintersten Seiten der Geschichtsbücher. Sollten wir nicht lieber irgendwo in Ruhe das Angemessene oder zumindest Notwendige besprechen? Vielleicht dachte ich, ich müsste Alessandra gegenüber jetzt besonders aufmerksam sein, der fürsorgliche Vater in spe, den ich aus Filmen kannte.
    Sie dagegen schien v öllig unberührt, fast unbeteiligt. Wieder spürte ich diese Kälte, die mir unheimlich war. So hart wie sie sich selbst gegenüber sein konnte, würde sie zweifellos auch anderen gegenüber sein. Instinktiv spürte ich, dass sie bei mir keine Ausnahme machen würde.
    Sie bestand darauf, die Flugbl ätter, wie vorgesehen, auszuteilen, und wir stellten uns an den Haupteingang der Mensa in die lange Reihe der Flugblattverteiler. Während ich automatisch ein Blatt nach dem anderen vom Stapel nahm und es den hungrigen Kommilitonen wie einen Vorgeschmack auf das, was sie weiter hinten an der Essensausgabe erwartete, entgegenhielt, versuchte ich, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alessandra stand mir gegenüber und versorgte diejenigen, die satt und zufriedener wieder in die Sonne traten. Durch diesen Strom sich hinein und heraus drängender Körper beobachtete ich sie. Sie war blass, aber gefasst. Gleichgültig ließ sie sich ihre Flugblätter aus der Hand nehmen.
    Zwei Dinge begannen sich in meinem Kopf aus dem Gew ühl der Empfindungen und Gedankenfetzen umrissartig herauszubilden. Zum einen war ich maßlos erstaunt. Wie, um alles in der Welt, konnte das so schnell passiert sein? Sicher, selbst ein einziges Mal genügte, das wusste auch ich. Wie oft hatte ich aber mit einer Frau geschlafen, ohne an Verhütung, geschweige denn an Schwangerschaft auch nur zu denken! Als zweites stand plötzlich das Wort Abtreibung fast bildhaft vor mir, und ich versuchte, mir zu vergegenwärtigen, was zu tun sei, mich an Gespräche zu erinnern, in denen es um Hollandfahrten oder Ähnliches gegangen war.
    Vielleicht spiegelte sich all das in meinem Gesicht wider, vielleicht waren diese Überlegungen aber zu naheliegend, um nicht von ihr mit Leichtigkeit vorweggenommen worden zu sein. Hatte sie nicht Stunden, Tage, Wochen gar gehabt - wer wollte das wissen? -, um sich auf genau diesen Augenblick vorzubereiten? Jedenfalls sagte sie unvermittelt: "Erstens ist es nicht von dir, und zweitens werde ich es behalten."
    "Was sagst du da?" br üllte ich zurück, ohne mich um das Gewühl der Menschen um uns herum zu kümmern. Zu unwirklich erschien mir die Situation.
    " Ѐ di Massimo", antwortete sie leiser, und das brauchte sie mir nicht zu übersetzen.
     
    Chloé wurde am achten März geboren. Fast vier Wochen

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