Die Himmelsleiter (German Edition)
öffentlich zu zeigen. Selbst Altomonte hatte sich mit dieser Tatsache offenbar abgefunden. Er war ein guter Verlierer, und wir verstanden uns besser als zuvor. Die Unterlegenheit, die ich bisher ihm gegenüber empfunden und die unsere Beziehung belastet hatte, war verflogen. Er mochte mir in vielem haushoch überlegen sein, mochte sich in intellektuellen Gefilden ungezwungen bewegen, die mir immer verschlossen bleiben würden, er mochte durch seine Unmittelbarkeit, seine fiebrige Wachheit Frauen genauso unwiderstehlich anziehen, wie er seine Professoren gegen sich aufbrachte, in einem Punkt war ich ihm voraus. Ich war vertrauenswürdiger, verlässlicher, ich war der bessere Kandidat für eine ernstgemeinte Beziehung.
Altomonte war f ür das normale, das gewöhnliche Leben nicht geschaffen. Das war die Quintessenz von dem, was mir in jener Zeit durch den Kopf ging, eine Einschätzung, die ich, trotz allem, was sich in den folgenden Monaten und Jahren noch ereignen sollte, nicht zu revidieren brauchte. Alle Qualitäten, die er im Übermaß besaß, halfen ihm nicht, sein Leben besser zu meistern. Im Gegenteil, er wirkte wie ein überzüchteter Sportwagen, der sich durch den Feierabendverkehr quält. Und ich glaube, er spürte, dass er den Raum, in dem seine Stärken wirklich hätte ausspielen können, nicht finden würde, dass es eine ihm gemäße Welt nicht geben konnte.
Es wurde Sommer, und Alessandra und ich sahen uns fast t äglich. Oft schlief ich in ihrem Dachzimmer in der Palatina. Dann frühstückten wir manchmal mit Altomonte im kleinen Aufenthaltsraum im ersten Stock. Überhaupt hatte die an Konturen gewinnende Beziehung zwischen Alessandra und mir wenige Veränderungen in unserem Verhältnis zu Altomonte gebracht. So wie früher, als wir beide noch gemeinsam hinter ihr her gewesen waren, verbrachten wir einen Gutteil unserer Zeit zu dritt. Wir fühlten uns fast wie eine Großfamilie, wir drei im Zentrum, die anderen, Mitbewohner oder Freunde, locker um uns herum gruppiert. So recht mir das meistens war, so sehr wünschte ich mir manchmal, Alessandra zeigte mehr Interesse an einer ausschließlicheren Zweisamkeit.
Im gleichen Tempo wie die Temperaturen Tag f ür Tag gestiegen waren, hatten die politischen Aktivitäten nachgelassen. Das Semester neigte sich seinem Ende entgegen, und die Hörsäle und Seminarräume leerten sich von Woche zu Woche. Es war, als versickerten die Studenten wie Wasser in ausgedörrtem Boden. Auch das Stadtbild hatte sich gewandelt. Einer wachsenden Anzahl von Touristen standen immer weniger Einheimische etwas verloren gegenüber. Nach den hektischen Wochen des Mai und der Beruhigung, die der Juni gebracht hatte, hatte sich Enttäuschung breitgemacht. Die Revolution war offenbar doch keine Sache von wenigen Wochen, und die Hoffnungen richteten sich auf den Herbst, einen heißen Herbst, wie man sich gegenseitig versicherte.
Anfang August fuhr Alessandra nach Mailand. Vierzehn Tage sp äter trafen wir uns, wie verabredet, im Ferienhaus ihrer Eltern an der Riviera bei Portofino. Ferragosto, der Höhepunkt der Saison, war gerade vorüber, und die Verwandtschaft hatte sich schon auf den Weg zurück in die Großstadt gemacht. So hatten wir das Haus für uns alleine. Nur an den Wochenenden stieß ihre große Schwester mit ihrem Mann zu uns.
Dieser Urlaub war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Besonders beeindruckt war ich vom Luxus, in dem ich mich dort unverhofft wiederfand. Alessandra war das Entree zu vielerlei Festen und gesellschaftlichen Anl ässen in den Villen der Umgebung, zu Bootsfahrten und anderen Vergnügungen, die ich bisher nur vom Hörensagen gekannt hatte. Das Wichtigste jedoch, was diese Ferien brachten, war ein grundlegender Wandel in Alessandras Haltung.
Schon nach wenigen Tagen wollte sie mit mir schlafen, und von da an taten wir es mit der gr ößten Selbstverständlichkeit, so als sei es niemals diese eine Sache gewesen, die wir aus unserem Repertoire unwiderruflich gestrichen zu haben glaubten. Diese plötzliche Wandlung kam zwar überraschend, erschien mir aber bei näherem Hinsehen als absehbar und folgerichtig. Schließlich kannten wir uns erst wenige Monate, und der Umgebungswechsel, die Sonne, die uns wie Akkus bis zur Überhitzung auflud, der Vergnügungshunger, mit dem sich jeder ringsum ins Leben zu stürzen schien, mochten den Ausschlag gegeben haben, das sie jetzt und nicht irgendwann sonst dort hingelangt war.
Zun ächst war ich enttäuscht. Zu oft
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