Die Himmelsleiter (German Edition)
Waren unsere neuen Errungenschaften auch nicht so aufregend, dass jede für sich eine Trennung gerechtfertigt hätte, wir betrachteten sie als Vorboten von etwas Verheißungsvollerem. Noch einige Jahre lang sollten wir uns regelmäßig sehen und sogar ein paarmal zusammen schlafen.
Was dann folgte, war das Chaos. Beg ünstigt durch die Aufbruchsstimmung, die auch die privatesten Winkel des Studentenlebens erfasst hatte, vermehrten sich meine Beziehungen binnen weniger Wochen, bis ich jede Übersicht verloren hatte. Die sexuelle Befreiung gehörte zum Pflichtprogramm eines jeden, der nicht als spießiger Kleinbürger angesehen werden wollte, und wir Männer taten das unsere, um den Kommilitoninnen und Genossinnen die letzten Skrupel auszureden. Erst nach Monaten begannen aus dem Durcheinander von kürzeren und längeren Beziehungen, von leidenschaftlichen Verhältnissen und unbedeutenden einmaligen Affären stabile Strukturen wie durchsichtige Fäden hindurch zu schimmern. Als müsse alles erst ordentlich durchgeschüttelt werden, um etwas Sinnvolles zu ergeben, bildeten sich wiederkehrende Muster, Vorlieben und Gewohnheiten heraus. All dies geschah ganz von allein und ohne mein bewusstes Zutun. So war ich frei und ungebunden, aber nicht allein.
Auch nachdem ich Alessandra zum ersten Mal in der kleinen K üche von Altomontes Wohnheim erblickt hatte, änderte sich zunächst nichts. Selbst in der spannungsreichen Zeit unseres gemeinsamen Werbens steuerte ich regelmäßig, manchmal frustriert, manchmal aber auch in freudiger Erwartung, die Fixpunkte auf meiner ganz privaten Landkarte der Altstadt an. Sie hatten schöne, biedere deutsche Namen, hießen Karin, Doris oder Gabi, und stammten aus dem Schwäbischen, aus der Pfalz, seltener aus dem hohen Norden. Sie waren bereitwillig und unkompliziert. So wie ich auf einen kurzen Besuch am Nachmittag aufkreuzen konnte, klopfte ich manchmal mitten in der Nacht an ihre Tür und nahm es ihnen nicht übel, wenn ein anderer schneller gewesen war.
Bald jedoch wurden diese Besuche seltener, um irgendwann ganz aufzuh ören. Je mehr ich mich in Alessandra verliebte, ein Vorgang, den ich zunächst als schiere Hartnäckigkeit angesichts ihres anhaltenden Widerstandes missdeutete, desto nichtssagender erschienen mir diese anderen Körper, über die ich nach Belieben verfügte. Was mir mit Susanne am Ende unserer Beziehung widerfahren war, ereignete sich jetzt in umgekehrter Reihenfolge. Die beliebige Lust, nach der ich mich jahrelang gesehnt hatte, langweilte mich, und ich war bereit, sie wieder für das Altbekannte herzugeben, auch wenn dieses Vertraute in neuen und zunächst aufregenderen Kleidern daherkam.
Was in der Nacht der Universit ätsbesetzung seinen Anfang genommen hatte, enttäuschte meine hochgesteckten Erwartungen nicht. Die fast vergessene Spannung, die neben dem Neuen auch Nähe braucht, war wieder da. Wie damals bei Susanne meinte ich, Alessandra sei die allererste Frau, die ich je wirklich geliebt hätte.
Unser Liebesleben hatte nur einen kleinen Sch önheitsfehler: sie wollte nicht mit mir schlafen. Es war nicht so, dass sie sich noch nicht sicher gewesen wäre und mich auf später vertröstet hätte. Sie schien ein für allemal damit abgeschlossen zu haben. Mit dem Hinweis, sie habe es vor längerer Zeit ausprobiert und es bedeute ihr nichts, wischte sie meine zaghaften Versuche, darüber zu sprechen, vom Tisch. Ich solle mich nicht so anstellen, schließlich gehe es nur um diese eine Sache , sagte sie dann manchmal, so als handele es sich um eine seltene und besonders abwegige, in jedem Falle aber völlig überflüssige Perversion. So taten wir all das miteinander, was jedes Liebespaar miteinander tut, nur eben nicht diese eine Sache . Zuerst tröstete ich mich damit, sie würde irgendwann, selbst Lust darauf bekommen und ihre Meinung ändern, dann gewöhnte ich mich daran. Es war eine Form der Sexualität, die mir bald genauso intensiv erschien wie jede andere.
Mag sein, dass das der Grund war, warum ich auf Altomontes Frage, ob ich mit ihr geschlafen habe, etwas ängstlich reagierte. So erfüllt unser Liebesleben war, so zerbrechlich erschien mir diese vordergründige Idylle. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Dieser Zwiespalt dauerte noch einige Wochen an.
In dieser Zeit wurde unser Umgang verbindlicher. Nach wenigen Tagen schien sie akzeptiert zu haben, mit mir fest zusammen zu sein. Genauso wie ich, legte sie Wert darauf, es
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