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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Jedenfalls musste der alte Bach sofort die verschiedenen Pianofortes des Königs ausprobieren und darauf improvisieren. Ihm wurde ein Thema vorgegeben, aus dem er auf der Stelle eine vielstimmige Fuge - überliefert sind sechs- oder gar achtstimmige - komponierte. Daheim arbeitete er das Königliche Thema weiter aus und schickte es als Musikalisches Opfer nach Potsdam."
    Wieder einmal war ich über den Freund mehr befremdet als erstaunt. Nur er konnte sich für so Absonderliches interessieren.
    "A uf dem Vorsatzblatt, das Bach den Noten beigelegt hatte, stand die lateinische Inschrift: 'Auf Geheiß des Königs, die Melodie und der Rest durch kanonische Kunst aufgelöst'. Die Anfangsbuchstaben ergeben RICERCAR. Das bedeutet auf Italienisch suchen . Ricercar war im Übrigen auch die ursprüngliche Bezeichnung für Fuge. Und im Musikalischen Opfer gibt es tatsächlich viel zu suchen." Altomonte schien in sich versunken. Vielleicht sprach er gar nicht zu mir, sondern dachte nur laut. "Zum Musikalischen Opfer gehören auch zehn Kanons. Die hat Bach aber absichtlich nicht vollständig ausgeführt, sondern nur jeweils angedeutet. Sie wurden dem König als Rätsel dargeboten, damals übrigens ein beliebtes Gesellschaftsspiel." Zum ersten Mal sprach er mich direkt an. "Weißt du, wie ein Kanon komponiert wird?"
    Mir blieb nichts anderes, als stumm zu verneinen.
    "Na komm! Du kennst doch sicherlich dieses unsägliche Ding", er schlug ein paar Tasten an, " Bruuder Jaakob, Bruuder Jaakob …"
    Ich nickte.
    "Das Thema wird einfach zeitlich versetzt wiederholt. Die einfachste Form des Kanons. Man kann aber auch die Tonhöhe oder das Tempo variieren. Dann kann man das Thema umkehren oder rückwärts spielen." Er verhaspelte sich beim Nachspielen und lachte. "Und dann gibt es noch ein paar Kniffe mehr. Natürlich kann man alles auch miteinander kombinieren. Das wird dann schnell unheimlich komplex." Er versuchte sich an einigen Variationen.
    Obwohl ich nur eine Ahnung von dem erhaschte, was er mir zeigen wollte, war ich beeindruckt. Niemals h ätte ich gedacht, dass in so wenigen Takten so viel stecken konnte. Ein bisschen kam ich mir wie ein Analphabet vor, der im einen oder anderen Buch geblättert hatte, um es dann als zu langweilig beiseite zu legen.
    "A ußer dem RICERCAR gibt es noch einen weiteren Hinweis auf die Rätsel. Über einem der schwierigsten Kanons steht Quarendo invenietis ." Ich muss etwas angestrengt dreingeschaut haben, denn er beeilte sich zu übersetzen. " Suchet, so werdet ihr finden . Habe ich schon gesagt, dass alle Kanonrätsel gelöst wurden? Zumindest glaubt man das, obwohl natürlich niemand ausschließen kann, dass JSB noch ein paar Asse im Ärmel hat."
    Noch bevor ich von einer Überdosis an musikalischer Bildung niedergestreckt werden konnte, stand Alessandra in der Tür. Ihre kurze Anwesenheit genügte, um unserer einseitigen Unterhaltung ein abruptes Ende zu bescheren. Als sei die Sonne gerade durch dunkle Wolken gebrochen, leuchtete Altomontes Gesicht auf. Schlagartig schien alles wie weggefegt, was er an tiefschürfenden Lektionen noch für mich vorbereitet haben mochte.
    "S ei ancora qui? Du bist noch da?" Sie kam auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss. "Ich muss los! Ciao, ihr beiden." Und weg war sie.
    Seit ihrem triumphalen Auftritt auf der Vollversammlung geh örte sie zum politischen Establishment der Uni. Immer häufiger nahm sie an irgendwelchen Sitzungen teil, organisierte Aktionen aller Art oder grübelte stundenlang vor einer Wachsmatritze, die sie in ihre Reiseschreibmaschine gespannt hatte.
    So verschieden die Gedanken waren, denen jeder von uns nachhing, so wenig angebracht schien es, sie auszusprechen. Es dauerte eine Weile, bis einer die Stille brach. Ich glaube, es war Altomonte.
    "Hmm …" Er räusperte sich. "Hast du eigentlich mit ihr geschlafen?"
    Seine Frage machte mich stolz und verlegen zugleich. Zum ersten Mal meinte ich, aus seinem Schatten herausgetreten zu sein. Die Unruhe, die Angst vielleicht, die aus ihm sprach, schien mich aus den vormaligen Niederungen emporzuheben. Ich war nicht mehr der Lehrling, den er nach Belieben scheuchen konnte. Da ich aber andererseits noch nicht mit Alessandra geschlafen hatte - war das tatsächlich der entscheidende Punkt? -, wurde ich befangener, je länger ich darüber nachdachte, wie ich es ihm beibringen konnte, ohne mich zu blamieren.
    Ein Schulfreund hatte vor Jahren auf die gleiche Frage geantwortet, mit seiner Festen

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