Die Himmelsleiter (German Edition)
schwarz auf wei ß vor mir gehabt hätte, wäre mir die Gemeinsamkeit wahrscheinlich aufgefallen, zumal Chloé mich mit der Nase darauf gestoßen hatte. Sie klangen aber so unterschiedlich, der eine italienisch, der andere französisch, und auch meine Assoziationen mit den Frauen, die sie trugen, waren, trotz der äußeren Ähnlichkeit, so gegensätzlich, dass ich passen musste.
"Es ist ein Anagramm." Warm sahen mich ihre Augen an, und ein Prickeln durchlief mich. "Du nimmst die Buchstaben Miraio - zu viele Vokale, aber es geht -, schüttelst sie kräftig, und schon kommt Jamorí heraus, ein Akzent drauf, damit es französischer klingt, ein i wird zu einem j und fertig ist die neue Identität!" Sie warf den Kopf zurück und lachte.
Ohne zu antworten, beschr änkte ich mich darauf, sie mit freundlichem Gesicht vielsagend anzuschauen. Ein bisschen kam ich mir wie einer der Typen vor, die im Fernsehen Werbung für parfümierte Duschlotionen machen. Genauso ratlos und unwiderstehlich fühlte ich mich.
Dann sagte ich: "Wieso hast du dir nicht gleich einen ganz anderen Namen ausgesucht?"
Sie wurde ernst. "Sie war meine Mutter. Ich hänge an ihr, trotz allem. An beiden." Es war, als müsse sie sich dafür entschuldigen.
"Warum hast du am Telefon nicht gesagt, dass du es bist? Warum so geheimnisvoll?" Nicht alles schien geklärt, und trotz der Unbeschwertheit, in die mich ihre Anwesenheit tauchte, regte sich in einem versteckten Winkel meines Hinterkopfes eine Erinnerung an unser erstes, einem schlechten Krimi entsprungenes Gespräch.
"W ärst du für mich in Genf geblieben?"
So wie sie vor mir sa ß, war das überhaupt keine Frage. Anders stellte es sich am Telefon dar. Ob diese Spannung zwischen Fremdem und Vertrautem, das ich in ihrer Stimme ausgemacht hatte, ausgereicht hätte? Ich wusste es nicht.
"Dann waren diese mysteri ösen Andeutungen, diese Beweise, auch nur ein Trick? Was hast du gesagt: 'Jemand hat ihn umgebracht - oder etwas …' Eine starke Nummer!"
Sie war verlegen geworden, fing sich aber sofort wieder. "Nicht ganz. Beweise habe ich keine, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein Unfall war." Dann schilderte sie mir die Versuchsanordnung und den Unfallhergang. Einer der Phasengleichrichter habe sich überhitzt. Technisch eigentlich ausgeschlossen, meinte sie. Vermutlich sei er kurzgeschlossen worden. Mehr als das. Eine gezielte Rückkopplung habe zur Überlastung und schließlich zur Explosion geführt. "Es war ganz offensichtlich Sabotage, und wenn ich die Teile hätte, die die Polizei beschlagnahmt hat, könnte ich es auch beweisen." Sie stockte.
"Hast du das dem Kommissar erz ählt?"
"Es ist besser, wenn er selbst draufkommt."
Chloé sah durch die schweren Rauchglasscheiben des Foyers hinaus auf die Straße. Sie dachte nach. Offenbar hatte sie beschlossen, mir noch mehr zu erzählen: "Massimo", selten nannte sie ihn mein Vater , "hat an etwas anderem gearbeitet, als an dem, was er vorgab. Ihm ging es schon lange nicht mehr um die kontrollierte Kernfusion. Er hatte eine neue, eine größere Idee."
Obwohl ich mir keine gr ößere Idee als einen Fusionsreaktor vorstellen konnte, nickte ich. Das passte zu Altomonte. Ich sah sie fragend an.
Sie sch üttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht. Es hatte schon etwas mit dieser Laseranordnung zu tun. Zweifellos wollte er auch eine Solitonenwelle erzeugen. Nur warum, das wusste er allein." Sie sah mich an. "Gemeinsam finden wir es vielleicht heraus."
Ich nahm die Gelegenheit wahr, ihre Hand zu ergreifen und zu dr ücken. Dann war ich an der Reihe, ihr Neuigkeiten mitzuteilen.
"White ist tot."
Sie nickte, als habe sie nichts anderes erwartet. "Ist er gefunden worden?"
Ich berichtete von Montaignes Besuch am Vortag, seinem unverhofften Erscheinen, schmückte meine Schilderung mit allerlei Details aus. Schließlich saßen wir uns schweigend gegenüber. Alles schien gesagt, und niemand war bereit, zuerst aufzubrechen.
Wie um zusammenzufassen, sagte ich: "Altomonte arbeitete an einem Experiment, das jemand mit allen Mitteln verhindern wollte."
"Ja, davon bin ich fest überzeugt. Und dieser jemand muss gute Gründe dafür gehabt haben."
DER SCHEITELPUNKT DER PARABEL
Den Aktionen anl ässlich der Frankfurter Buchmesse folgte, was später hochtrabend als Heidelberger Winter bezeichnet werden sollte. Während die Studentenbewegung in der übrigen Bundesrepublik ihren Zenit überschritten zu haben schien, schickte sich die Provinz auf, das
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