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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Phase des Atemholens nutzen können, um meine Doktorarbeit abzuschließen. Zum Teil machte ich Altomonte und seine Chaos-Clique dafür verantwortlich, dass ich keinen Ansatzpunkt mehr sah, an dem ich hätte weiterarbeiten können. Meine Versuche, verschiedene Anomalien im Zusammenhang mit der thermischen Konvektion in ein traditionelles Theoriegerüst zu zwängen, erschienen mir im Lichte ihrer Ideen und Anstöße genauso abwegig, als hätte ich versucht, einen Ameisenhaufen nach den Vorstellungen moderner Stadtplanung nachzubilden. Es war nicht nur schwierig, es war sinnlos, schlimmer noch, es lenkte von den wirklich interessanten Fragen ab. Das andere, was mich an dem Sinn einer wissenschaftlichen Karriere zweifeln ließ, hatte mit Alessandra und den politischen Entwicklungen jener Tage zu tun. Angesichts der allgegenwärtigen Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft, war es nicht einfach, Grundlagenforschung überzeugend zu verteidigen. Und die Physik tat sich da besonders schwer. Dem öffentlichen Bewusstsein nach waren die wichtigsten Segnungen, mit denen sie die Menschheit beglückt hatte, vor allem die Atom- und Wasserstoffbombe, die Atomkraft im Allgemeinen. Schon bald erschien es mir sinnlos, Zeit und Kraft an ein Thema zu verschwenden, das so wenig Bezug zum wirklichen Leben außerhalb der Universität hatte. Ich schloss mich einem Arbeitskreis mit dem Namen Naturwissenschaft und Gesellschaft an, las Habermas und suchte einen Weg, um fachliche Ambitionen mit politischen Ansprüchen zu versöhnen.
    Nat ürlich hätte ich mich Altomontes Gruppe anschließen können. Ich glaube, er war ein wenig enttäuscht, mich abseits stehen zu sehen. Sie trafen sich jetzt regelmäßig, hatten eigene Räume im Keller der Theoretischen ergattert, die sie mit allerlei Gerätschaft vollgestellt hatten. Sogar einen ausrangierten Analog-Computer, einen monströsen Systron-Donner, dessen Schalttafel die ganze Wand einnahm, hatten sie aufgestellt, drehten an dessen Knöpfen und simulierten das Zusammenwirken irgendwelcher Gleichungssysteme. Trotz Altomonte, der als führender Kopf mehr begriffen hatte als die meisten anderen und der nach Kräften versuchte, mir wie einem störrischen Kind wenigstens die grundlegendsten Begriffe dieser neuen Physik einzubläuen, blieb mir die ganze Tragweite dieses Denkens letztlich verborgen. Erst Jahre später sollte ich verstehen, welche einmalige Chance ich leichtfertigerweise vergeben hatte. An der Quelle sitzend, hatte ich die einzigartige Gelegenheit gehabt, an der Geburt eines neuen Weltbildes teilzuhaben. Stattdessen zog ich es vor, in verrauchten Hinterzimmern den Vorträgen selbsternannter Köpfe der Bewegung zu lauschen, Lektürekurse zu besuchen, um meine größten Lücken in sozialistischer Theorie zu schließen, kurz, einen Haufen Dinge zu tun, die ein paar Jahre später als völlig sinnlos erscheinen sollten. Erschwerend kommt hinzu, dass ich nicht einmal behaupten kann, es hätte einen besonderen Spaß gemacht.
    Ich n ähme niemandem übel, in der Eifersucht die entscheidende Triebfeder zu vermuten. Und doch bin ich mir sicher, dass dem nicht so war. Mein Unbehagen der Gruppe gegenüber gründete sich auf das Gefühl, anders zu sein. Er und seine Leute hatten ihre Revolution ganz auf ihr Fach beschränkt. Von allem anderen waren sie weitgehend unberührt geblieben. Im Grunde waren sie genauso ehrgeizig wie ihre angepassten Kommilitonen. Ihr Rebellentum beschränkte sich darauf, einer überholten physikalischen Theorie, eine neue entgegenzustellen. Letztendlich wollten sie nichts Grundlegendes ändern. Ihre wissenschaftliche Radikalität mochte sogar nur ein Mittel sein, um schneller anerkannt zu werden. So sehr sie ihre Professoren verachteten, belächelten und auf sie herabsahen, manchmal dachte ich, sie wünschten sich nichts sehnlicher, als auf ihren Lehrstühlen zu sitzen. Ich aber wollte mehr.
    Auch Alessandra wollte mehr. Sie war nach Heidelberg gekommen, um Deutsch zu studieren. Zwei Semester hatten ausgereicht, um aus der beh üteten Tochter aus gutem Hause eine politische Aktivistin zu machen, die zu allem Überfluss auch noch schwanger war. Hätte sie den Eltern in der fernen Heimat gestanden, dass sie nicht die geringste Absicht hatte, mit dem werdenden Vater eine wie auch immer geartete verbindliche Beziehung einzugehen, wären die üppigen monatlichen Zahlungen vermutlich umgehend eingestellt worden. Tatsächlich hatten sie den Versuch unternommen,

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