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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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sie nach Mailand zurückzuholen. Es war von einer Schweizer Einrichtung die Rede gewesen, die sich auf solcherart gefallene höhere Töchter spezialisiert habe, eine Mischung aus Internat und Besserungsanstalt. Unnötig zu erwähnen, dass der bleiche Vater schon nach wenigen Stunden unverrichteter Dinge zurückgefahren war. Vielleicht hatte sie gedroht, sich den notwendigen Lebensunterhalt mit Prostitution, Drogenhandel oder Schlimmerem zu verdienen. Jedenfalls erhielt sie weiterhin eine zwar kleinere, aber immer noch ansehnliche Summe.
    In ihrem dritten Semester war Alessandra weit davon entfernt, das zu tun, was landl äufig als studieren bezeichnet wird. Der Lehrbetrieb am Germanistischen Seminar war weitgehend eingestellt worden, zudem schien es bessere Gelegenheiten zu geben, um Deutsch zu lernen oder etwas über die deutsche Kultur zu erfahren.
    Anl ässlich der Olympischen Spiele hatte die mexikanische Regierung ein Massaker an den protestierenden Studenten verübt. Der SDS organisierte Aktionen gegen die Olympiabegeisterung der Bevölkerung. In der ganzen Stadt wurde plakatiert. Alessandra war unermüdlich. An Büchertischen diskutierte sie mit Kommilitonen, auf der Straße mit Passanten. Sie konnte nicht begreifen, wie Menschen umgebracht werden konnten, um den ordnungsgemäßen Ablauf einer Sportveranstaltung zu gewährleisten, konnte erst recht nicht begreifen, dass das niemanden interessierte, geschweige denn berührte. Als dann Smith und Carlos nach dem 200-m-Lauf auf dem Siegerpodest die Faust im schwarzem Handschuh zum Black-Panther-Gruß ballten, fühlte sie sich bestätigt. Auch mit Gewalt war die weltweite Bewegung nicht zu unterdrücken. Wie viele andere, hängte sich Alessandra das Zeitungsfoto an die Schräge über ihrem Bett.
    Als dann einige Wochen sp äter der Königssaal des Heidelberger Schlosses mit weißer Ölfarbe beschmiert und dabei ein Jugendbildnis der Königin Victoria übermalt wurde, machte das Wort Kulturschändung die Runde. Ich weiß nicht, ob Alessandra bei dieser Aktion anlässlich der Jungbürgerfeier beteiligt war - sie tat zusehends konspirativ und meinte, es sei besser, wenn ich nicht alles wisse -, jedenfalls war sie, wie so oft, außer sich vor Wut und Verachtung, es sei typisch, dass sich diese kleinbürgerlichen Schweine mehr über einen alten Schinken aufregten als über Menschenleben.
    Im Dezember wurden Versuche unternommen, die Auslieferung der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung zu verhindern. Es kam zu einem Polizeieinsatz und zu heftigen Prügeleien. Kaum eine Woche verging, in der nicht eine neue Kampagne eingeläutet wurde. Heftig wurde über die Politisierung der Kommune und über Stellenwert und Reichweite von Aktionen in der Stadt diskutiert. Als dann im Januar die Justizkampagne mit großen Demonstrationen, Teach-ins und weiteren harten Polizeieinsätzen folgte, war Alessandra schon im siebten Monat und musste kürzertreten oder tat wenigstens so.
     
    Mit der Geburt Chloés traten wir in eine neue Phase ein. Schon wenige Tage nach der Entbindung überraschte uns Alessandra mit dem Vorschlag, zusammenzuziehen. Weder Altomonte noch ich waren von der Idee zunächst sonderlich begeistert. Doch die Vorteile lagen auf der Hand. Ein engeres Zusammenleben würde Sicherheit und Verbindlichkeit für alle Beteiligten schaffen. Vor allem hätte dann die Vorläufigkeit unserer Situation ein Ende. Auch das Kind konnte besser versorgt werden. Zudem mochte eine solche Konstruktion in den Augen der interessierten Öffentlichkeit weniger anstößig sein, schließlich konnte niemand in unsere vier Wände hineinschauen, um zu überprüfen, wer es mit wem trieb. Selbst Alessandra schien von der Vorstellung, als alleinerziehende Mutter zwei schwer einschätzbare Beziehungen zu führen, wenig begeistert.
    Wir sa ßen einen Abend zusammen, um die Einzelheiten zu besprechen. Schon bald wurde das Unbehagen von uns Männern deutlicher. Beide hatten wir Angst, von Alessandras Gnade abhängig zu sein. Zudem konnte sie uns auch weiterhin gegeneinander ausspielen. Jeder bangte um seinen Status, was mir lächerlich erschien, weil niemand Altomonte seine Vaterschaft streitig machen konnte. Ganz anders war es um mich bestellt. Sollten sich die Bande des Blutes tatsächlich durchsetzen, konnte ich unversehens als überflüssiges Anhängsel betrachtet werden und durch die Besucherritze ihres Doppelbettes fallen. Jedenfalls wurde bald klar, dass ein Zusammenleben zu dritt, beziehungsweise zu

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