Die Himmelsleiter (German Edition)
Versäumte nachzuholen.
Die Beziehung zwischen Altomonte, Alessandra und mir hatte ihren H öhepunkt dagegen schon hinter sich. Wie entgegengesetzt geladene Teilchen in einem starken Magnetfeld hatten uns die Ereignisse des Frühjahrs und Sommers einander nähergebracht, so nahe, dass wir für wenige Wochen und Monate eine, wenn auch brüchige Einheit gebildet hatten. Doch jetzt strebte jeder von uns in eine andere Richtung davon. Ohne es recht zu merken, zerstoben wir wie Funken, genauso schnell und letztlich genauso flüchtig. Aber es gab ein Produkt dieser vorübergehenden Verschmelzung. Das Kind, das in Alessandras Bauch heranwuchs, würde Bestand haben.
Vielleicht klingt es verschroben, aber ich betrachtete damals dieses werdende Leben auch als Teil von mir. Genetisch hatte ich nichts damit zu schaffen, doch es schien mir nebens ächlich, spießig fast, Abstammung und Vererbung allzu hoch zu bewerten. Dafür konnte schließlich niemand etwas, nicht Alessandra, die es mit finsterer Entschlossenheit austrug, und auch nicht Altomonte, der eher zufällige Vater, der gedankenlos, einem primitiven Instinkt folgend, sich fortgepflanzt hatte.
Es war mir unm öglich, sie als alleinige Eltern anzuerkennen. Es war, als hätten Altomonte und Alessandra niemals ausgereicht, um etwas so Einmaliges und Umfassendes zustande zu bringen, wie ein Kind es war. Zu unvollständig, zusammenhangslos erschienen mir die beiden. Die Ereignisse jener Tage, der Nährboden, auf dem sich unser Zusammenleben erst entwickeln konnte, die Verbindung, die ich zu jedem von ihnen hatte, war mindestens ebenso wichtig gewesen. Nur über mich hatten sie sich wirklich berühren können. Ich war das Neutron gewesen, das einen Teil der sich abstoßenden Kräfte absorbiert hatte. Und so war es folgerichtig, dass ich der Pate wurde und auch den Namen aussuchte. Wenigstens so wollte ich an jene Zeit erinnern, und die leiblichen Eltern stimmten gelassen zu, so als sei es ihnen gleichgültig, ob ihre Tochter Maria hieß oder einfach nur 396412 .
W ährend die Schwangerschaft voranschritt und das Wintersemester hektischer wurde, veränderte sich die Beziehung zwischen uns dreien. Alessandra und ich waren nachwievor ein Paar, auch wenn wir uns unmerklich voneinander entfernt hatten. Allein die Tatsache, dass sie ein Kind von Altomonte erwartete, schuf eine neue und intensivere Verbindung zwischen ihnen. Trotz meiner anfänglichen Eifersucht, blieb mir nichts anderes übrig, als diese fast materielle Ebene ihres Austauschs anzuerkennen. Und physisch war dieser Austausch auch in anderer Hinsicht. Sie schlief weiter mit Altomonte, so wie sie es mit mir und vielleicht auch mit anderen tat.
An den äußeren Bedingungen änderte sich zunächst nichts. Ich blieb in meiner kleinen Bude in der Ingrimstraße, sie bewohnten weiterhin ihre jeweiligen Zimmer in der Palatina. Alessandra vermied alles, was auf ein regelrechtes Zusammenleben mit Altomonte hingedeutet hätte. Nur nachts, wenn sich entschied, wer bei wem schlief, wurden die Fronten erkennbar.
Merkw ürdigerweise gewöhnten wir uns schnell an dieses neue Leben, und bald erschien es uns selbstverständlich. Erst nach der Geburt Chloés kam es zu einer neuerlichen Veränderung. Auch unsere Freunde und Bekannte fanden nichts dabei. Im Gegenteil, manch einer war beeindruckt, wie progressiv wir unser Zusammenleben gestalteten. Manchmal waren wir ein wenig stolz darauf.
W ährend die anfänglichen Spannungen zwischen uns nachließen und eine vordergründige Harmonie Einzug hielt, entwickelten wir uns in manch anderer Hinsicht auseinander. Wir glichen einer Familie, die im Alltag ganz gut miteinander auskommt, in der jeder aber mit seinem eigenen Job vollauf beschäftigt ist.
Altomonte arbeitete an seiner Dissertation. Im gleichen Tempo, in dem Alessandras Bauch sich unter ihren Blusen und Pullovern aufw ölbte, wuchs ein Stapel Blätter auf seinem Schreibtisch. Trotz aller Vorläufigkeit, in der wir lebten, hatte er die Ruhe, die er zum arbeiten brauchte. Wir alle hingen in der Luft und waren uns bewusst, dass es so auf Dauer nicht weitergehen konnte. Gerade diese Zerbrechlichkeit aber war die beste Garantie dafür, dass sich etwas änderte. Es schien, als brauchte keiner etwas dafür zu tun. Wir hatten etwas angestoßen; irgendwann würden die Früchte auf uns niederprasseln, ob wir es wollten oder nicht. Es war diese Gewissheit, die uns beruhigte und vertrauensvoll abwarten ließ.
Auch ich h ätte diese kurze
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