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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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ZIELKREUZ
     
    Zum ersten Mal sah ich Altomonte 1977 im KOZ wieder. Meike und ich hatten uns gerade den Zufälligen Tod eines Anarchisten angesehen.
    D as Kommunikationszentrum war nur spärlich beleuchtet, die alten Sofas und Sessel, die überall herumstanden, waren kaum besetzt. Die gesamte Einrichtung schien vom Sperrmüll zu stammen und war mehr bedrückend als gemütlich. An der Theke wurde Flaschenbier verkauft. Dort war mehr los. Die üblichen Gestalten vertrieben sich diskutierend und trinkend die Zeit, Hausbewohner, ein paar Typen vom AStA und manch ein Aushängeschild der Heidelberger Politszene.
    Mit uns str ömte noch ein Schwall Leute ins KOZ, und wir strebten, dem einen oder anderen zunickend, der Theke entgegen. Als ich ihn sah, blieb ich stehen, als sei ich gegen eine Wand gelaufen. Altomonte hatte mich natürlich längst ausgemacht und wartete breit lächelnd, eine Augenbraue spöttisch hochgezogen auf meine Reaktion. Braungebrannt, fast elegant gekleidet und mit viel kürzeren Haaren als wir anderen, hatte er ein kleines Vakuum um sich geschaffen. Man mochte ihn für einen Zivilbullen oder einen Spion des Rektorats halten. Jedenfalls hätte er auch mit sechs Beinen und Antennen auf dem Kopf nicht weniger fehl am Platz wirken können. Er schien sich nicht daran zu stören. Entspannt lehnte er an der Theke. Irgendwo hatte er ein richtiges Glas aufgetrieben, das er lässig hin und her drehte.
    Altomonte vermittelte den Eindruck eines Verhaltensforschers, der sich unter eine Schimpansenhorde gemischt hat. Und wir, abgerissen, langhaarig und b ärtig, kamen uns ein wenig wie Höhlenmenschen vor oder wie die zurückgebliebene ländliche Verwandtschaft, die des reichen Onkels aus Amerika ansichtig wird. Vielleicht wurde mir an diesem Tag zum ersten Mal bewusst, dass die Zeit auch bei uns nicht stehenbleiben würde. Wir waren Relikte längst vergangener Tage, unsere kleine Welt hatte überlebt, aus welchen Gründen auch immer - der Trägheit, der Beharrlichkeit wegen? -, hatte in einem Biotop, einem Zoo, in einem vergessenen Winkel die Zeiten überdauert, doch früher oder später würden wir sie fallenlassen und uns wundern, wie sehr wir uns verändert hatten.
    Er schien sich zu freuen, mich zu sehen. Vielleicht war es auch Meike, die ihn mit den Widrigkeiten seiner Heimkehr vers öhnte- und er wollte in Heidelberg bleiben, wie er versicherte. Altomonte bemühte sich sichtlich um ihr Wohlwollen. Auch sie war neugierig und beobachtete aufmerksam eine der beiden Hauptfiguren meines früheren Lebens, von der sie nur die seltenen Briefe kannte. Obwohl man ihr nichts anmerkte, spürte ich, dass sie ihn nicht mochte. Es mag lächerlich erscheinen, aber es beruhigte mich. Vermutlich hatten meine Erzählungen nicht gerade dazu beigetragen, ihn in ihren Augen liebenswerter erscheinen zu lassen.
    An diesem ersten Abend tauschten wir nur unverbindliche Nettigkeiten aus. Wir beschn üffelten uns, unsicher, was aus dem anderen geworden sein mochte, erkannten uns wieder, erkannten uns, wie in einem Spiegel, auch selbst wieder. Jeder war auf seinem Weg weitergekommen, und obwohl der Schnittpunkt dieser beiden Geraden mit jedem Jahr weiter zurücklag, blieb etwas Verbindendes, vielleicht die Ahnung, jeder hätte mit ein wenig Glück oder Pech in der Haut des jeweils anderen stecken können. Ein paar Tage später besuchte er uns.
    Wir wohnten seit fast zwei Jahren am Bergfriedhof in der Heidelberger S üdstadt. Die alte WG war auseinandergefallen. Robert war in eine Anwaltssozietät eingestiegen und führte einen zähen, aber aussichtlosen Kampf in unzähligen Studentenprozessen. Norma war nach Brasilien zurückgekehrt.
    Unser neues Zuhause lag ruhig, und wir genossen den kleinen Garten, das Gr ün, das gleich dahinter begann, die nahen Hänge, die zu ausgedehnten Spaziergängen einluden. Selbst der Friedhof erschien uns als eine friedliche Oase der Besinnung und inneren Einkehr. Weniger als einen Kilometer vom Trubel der Hauptstraße entfernt, lebten wir in einer anderen Stadt. Für die meisten bestand Heidelberg aus dem kleinen Karree zwischen Universitätsplatz und Karlsplatz, Alter Brücke und Schloss: zwei Straßen, ein paar Gassen, achtundfünfzig Kneipen. Für die Studenten kamen die Neue Universität und die jeweiligen Seminar- oder Institutsgebäude hinzu. Spätestens der Bismarckplatz war die unsichtbare Grenze, über die sich kein vernünftiger Altstadtbewohner hinaus traute. Wenn sich manch einer in die

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