Die Himmelsleiter (German Edition)
etwas von einem Seefahrer, eine seltsame Weitgereistheit, die sich mit Bodenständigkeit - Provinzialität fast - paarte. Vielleicht eine typisch Schweizer Eigenart, dachte ich. Er hätte als Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes oder eines Supertankers durchgehen können. Seine Hände schienen, so feingliedrig sie waren, jahrelang Wind und Wetter ausgesetzt gewesen zu sein. Überhaupt machte er den Eindruck, als ankerte seine Jacht unten an der Heuscheuer und er sei nur auf einen kurzen Landgang von Bord. Auch seine Kleidung passte dazu: weiße Tennisschuhe, eine leichte Sommerhose und ein darauf abgestimmtes helles Polohemd. Das blaue Sportsacko hatte er über einen Stuhl geworfen.
Altomonte bl ätterte weiter, las die Kapitelüberschriften, murmelte etwas Unverständliches und sagte dann lauter: "Du hättest Lehrer werden sollen!" Er warf das Manuskript zu den Zeitschriften auf den Couchtisch und lachte. "Hast du einen Kaffee?"
"Vielleicht, aber die Menschen lernen dann am besten, wenn sie wissen, wof ür sie es tun." Warum musste mit ihm jedes Gespräch so schwer werden, so bedeutungsschwanger, so triefend vor Überzeugung und Moral, als ginge es jedes Mal um Leben und Tod? Warum konnte er nicht einfach von Santa Cruz erzählen, von Kalifornien, meinetwegen von den amerikanischen Mädchen?
Dann saßen wir uns gegenüber und schwiegen. Der Kaffee dampfte aus den großen Steinbechern. Feine Schwaden stiegen auf, kräuselten sich in der Luft und durchdrangen weißlich die Lichtfinger der Sonne. Ein dunkler Duft breitete sich aus. Ich verspürte wenig Lust, mit ihm zu diskutieren, aber, wie so oft, er war schneller.
"Ist es nicht langweilig, immer nur etwas zu verhindern? Atomkraftwerke, Gentechnologie, Telekommunikation, Kabelfernsehen … Was weiß ich …" Er hob die Arme, als fühlte er sich hilflos angesichts so viel Ignoranz. Maschinenstürmerei, ging mir durch den Kopf, das war das richtige Wort.
Altomontes Unverst ändnis hatte mich früher aufgebracht, jetzt stimmte es mich traurig. Was zum Teufel hatte er sieben Jahre lang in Amerika gemacht? War das, was uns hier in der Provinz beschäftigte, in Kalifornien nicht viel deutlicher zu spüren gewesen? Oder waren sie dort längst weiter? Wahrscheinlicher war, dass er Tag und Nacht im Labor gestanden und über seinen Büchern gehockt hatte, blind für alles andere.
An unseren B ücherständen, auf den Podiumsdiskussionen, den Treffen der kleineren und größeren Bürgerinitiativen in den Hinterzimmern der Dorfgaststätten hatte ich Geduld geübt. "Wir sind gegen Atomkraftwerke, das stimmt, aber wir haben Alternativen." Ich betete die ganze Leier herunter und klopfte mit dem Finger auf das Wärmepumpen-Manuskript, um meine Worte zu unterstreichen. Er dachte darüber nach, und doch wirkte er seltsam begriffsstutzig.
"Was technisch m öglich ist, wird früher oder später auch verwirklicht werden. Das kann niemand verhindern." Er sagte es mehr träumerisch als kategorisch, und ich wunderte mich, wie jemand, der sich in der Forschungsförderung souverän zu bewegen wusste, so naiv sein konnte. "Es wird immer einen Verrückten geben, der sich nicht darum schert, ein Besessener, der mit dem Kopf durch die Wand geht, um allen Widerständen zum Trotz, seine Maschine zu bauen oder was immer es ist, um das es ihm geht." Er tippte sich an die Stirn. "Hier drin muss die letzte Kontrolle sein. Ich entscheide in letzter Instanz, ob ich es tue oder nicht."
"Du solltest in den Bund Freiheit der Wissenschaft eintreten", meinte ich spöttisch.
Er sch üttelte den Kopf und lachte: "Wer weiß, vielleicht bin ich da schon lange drin. Aber im Ernst, du kannst niemandem seine persönliche Verantwortung abnehmen."
"Das tue ich auch nicht. Pers önliche Verantwortung reicht mir nur nicht, sie ist ein Privatvergnügen."
"Du hast kein gro ßes Vertrauen in den Menschen."
"Du etwa?"
Er dachte nach. "Ich glaube, es bleibt uns nichts anderes übrig."
Dann wurde unser Gespr äch zwangloser. So als hätten wir das Pflichtprogramm absolviert, wandten wir uns dem gemütlichen Teil zu. Jetzt erzählte er von Santa Cruz, der dortigen Chaos-Truppe, dem FIAT-Cabrio, das er gefahren hatte, von den Ausflügen an den Strand, ließ den einen oder anderen Namen fallen und flocht die passende Anekdote ein. Trotz der Lockerheit, die aus seinem Bericht herausklang, fiel es mir schwer, ihm den unbekümmerten Sonnyboy abzunehmen. Es war, als erzählte er mir von einem Film. Er selbst blieb außen
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