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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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vor und beobachtete belustigt sein Treiben.
    Wir schwatzten, tranken Kaffee. Altomonte war schon im Aufbruch begriffen, als ich ihn fragte, wie es Chloé gehe.
    "Gut!" Er nickte mehrmals. "Ich denke, gut. Sie hat mich Weihnachten besucht." Er stockte, besann sich dann und lachte. "Wei ßt du, es ist verrückt. Die Kinder fliegen heute so selbstverständlich wie wir früher Fahrrad gefahren sind. Du kannst sie schon mit Vier oder Fünf in Mailand oder Frankfurt ins Flugzeug setzen und brauchst sie nur in Hongkong oder Los Angeles wieder in Empfang zu nehmen. Sie bekommen ihre Bordkarte um den Hals gehängt, und schon sind sie eine Very Important Person : Man lässt sie nicht mehr aus den Augen, sie dürfen als erste an Bord, eine Stewardess begleitet sie von einer Maschine zur anderen, ständig kümmert sich jemand um sie … Es ist leichter, Chloé um die halbe Welt zu verschicken, als sie ins Nachbardorf zum Arzt zu bringen." Sein Redeschwall versiegte. Er sah auf seine Hände. Selten hatte ich ihn so verlegen, fast befangen erlebt. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen."Hast du in letzter Zeit etwas von Alessandra gehört?" fragte er leiser. Auch ich hatte gerade an Chloés Mutter gedacht. Es war, als bräuchte man das bisher Gesagte nur auf einer imaginären Linie zu verlängern, um unweigerlich auf sie zu stoßen.
    Nat ürlich hörte man ständig etwas von der Miraio . Kaum ein Tag verging, an dem im Fernsehen oder Hörfunk nicht ihr Name fiel. Auch die Zeitungen waren voll von Berichten über ihre Missetaten, über verübte oder geplante Anschläge, Entführungen und Morde. Man hatte sie zu einem führenden Kopf des internationalen Terrorismus stilisiert, zu einem weiblichen Carlos. Zuerst einfache Gefolgsfrau, war sie von Fahndern und Medien bald in die Kommandoebene der Roten Brigaden befördert worden, um schließlich für die Koordination der Aktionen mit der RAF verantwortlich zu zeichnen. Doch auch eine europäische Top-Terroristin konnte noch Karriere machen. Neuerdings wurden ihr Verbindungen in den Nahen Osten, zum amerikanischen und sowjetischen Geheimdienst nachgesagt, sie stehe im Sold südamerikanischer Diktatoren, wurde gemunkelt, der italienischen und japanischen Mafia oder aller zugleich.
    Seit dem Ansc hlag auf das amerikanische Headquarter wurde sie steckbrieflich gesucht. Ein halbes Dutzend Zielfahnder aus verschiedenen Ländern jagte sie um den Globus. Sie kannten sie besser, als Altomonte oder ich es je getan hatten. Wie im Schlaf waren sie mit ihren Vorlieben und Abneigungen vertraut, empfanden Alessandras Freunden und Feinden gegenüber fast genauso, als seien es ihre eigenen. Sie wussten, welche Kaugummimarke sie kaute, welche Tampongröße sie benutzte, ob sie Spaghetti mit Pesto oder mit Gorgonzola bevorzugte. Sie hatten mehr Feingefühl als Psychologen und konnten sich mit jeder Faser ihres Herzens, in sie hineinversetzen. Welchen Film sähe sie sich in einer Stadt an, verspürte sie Lust, ins Kino zu gehen? Würde sie nach ihrer Ankunft im Hotel erst duschen wollen? Ginge sie das Risiko ein, zum Bahnhof zu fahren, um eine italienische Zeitung zu kaufen? Ihre Zielfahnder spielten rund um die Uhr das Was-würde-die-Miraio-jetzt-wohl-machen-Spiel. Sie näherten sich ihr unerbittlich, kamen auf Tage oder Stunden an sie heran, überholten sie manchmal, ohne es zu merken, um dann von ihr wieder eingeholt zu werden oder um festzustellen, dass sie auf ein Abstellgleis geraten waren. Dann hatten sie sich geirrt und mussten wieder von vorne anfangen: Die Miraio hatte wider Erwarten anders entschieden. Diese smarten jungen Männer schienen auch einige Male vorausgesehen zu haben, dass sie mich besuchen würde. Tagelang wurde ich beschattet, ohne dass Alessandra sich bei mir gemeldet hätte. Sie sponnen ihre Netze. Im Libanon hatten sie mit ansehen müssen, wie das Objekt ihrer Begierde in einem palästinensischen Ausbildungslager ganz ungeniert trainierte. In eine Eisdiele in Schwäbisch Hall und an eine Autobahnraststätte bei Frankfurt waren sie nur wenige Minuten zu spät gekommen. Früher oder später mussten sie sie erwischen.
    Ich sch üttelte den Kopf. Nein, es war schon fast zwei Jahre her, dass sie leibhaftig vor mir gestanden hatte.

JAMES BOND, FRANKENSTEIN UND ICH
     
    In den zwei Tagen, in denen ich auf Chloé wartete, hatte ich Zeit, nachzudenken. Hierbei ging es weniger um den Fall, den ich zu lösen versuchte, um seine vielen zusammenhangslos erscheinenden Einzelteile, die

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