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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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oder allzu selbständige Nachforschungen zu verhindern. Wir fühlten uns wie zwei Privatiers, die ihren eigentlichen beruflichen Anlass aus den Augen verloren hatten. Dass er Kommissar und ich Journalist war, spielte mit jedem unserer Treffen eine geringere Rolle. Über unsere Aufgabe gebeugt, tüftelten wir Annahmen und Erklärungen aus, als handele es sich um ein vertracktes Schachproblem - Matt in sieben Zügen etwa -, analysierten gemeinsam die Stellung, die jeden von uns, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, herausforderte.
    Nach und nach gingen wir die verschiedenen Hypothesen durch, die wir bisher entwickelt und wieder verworfen hatten. Die Selbstmord -These passte nicht zu Altomontes Persönlichkeit. Gegen die Unfall-These sprach vor allem, dass sie mit einem Schlag den ganzen Fall aus der Welt geschafft hätte. Die Mord-These stand auf unsicheren Beinen, die Mittel schienen untauglich und das Ergebnis zufällig. Auch von der Geheimdienst-These hielt Montaigne nicht viel. Wenn tatsächlich fremde Mächte ihre Hand im Spiel gehabt hätten, wäre das der Schweizer Abwehr nicht lange verborgen geblieben. Es gab Interesse an Altomonte und seiner Arbeit, es hatte sogar Bestrebungen gegeben, ihn abzuwerben, ihn aus der Schweiz, aus Europa wegzulocken. Alles war aber im Rahmen der üblichen Spielregeln geblieben.
    Blieb die Sabotage -These übrig. Sie stand im Einklang mit allen bisher bekannten Fakten. Auch das Gutachten des Europäischen Instituts , die Aussagen Rivas, die Andeutungen Chloés, über die ich Montaigne notdürftig ins Bild gesetzt hatte, stützten sie. In ihrem Licht war Altomontes Tod nur eine bedauerliche Begleiterscheinung, vielleicht aber auch eine glückliche, fast schicksalshafte Fügung. Schließlich verhinderte sein Ableben eine Wiederholung des Experiments oder erschwerte sie zumindest erheblich. Wie hätten Juristen einen solchen Tatbestand bewertet? Als fahrlässige Tötung, Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag, möglicherweise sogar Mord? War sein Tod nicht billigend in Kauf genommen worden? Er hatte sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden und hatte auch noch das Pech gehabt, von der vollen Wucht der Explosion getroffen zu werden. Tatsächlich nur ein dummer Zufall?
    Die Fragezeichen, die bis an diesem Punkt noch z ögerlich gesprossen waren, verdichteten sich zu einem spekulativen Dickicht, wurde die Frage aufgeworfen, wer für die Zerstörung der Anlage verantwortlich zu machen sei. Die naheliegende Antwort hieß: Kenneth White. Sein Verschwinden musste als Schuldeingeständnis gewertet werden. Blieb das Motiv. Chloés Worte fielen mir wieder ein: "Jemand wollte das Experiment mit allen Mitteln verhindern. Und dieser jemand muss gute Gründe dafür gehabt haben." Oder waren das meine Worte gewesen?
    Zweifellos hatte White am meisten gewu sst. Er war mit allen Einzelheiten von Altomontes Forschungsarbeit vertraut gewesen. Selbst wenn sein Chef ihm etwas vorenthalten hatte, es war ihm sicherlich ein leichtes gewesen, das Fehlende zu ergänzen und die Lücken zu schließen. Darüber waren wir uns einig. Einig waren wir uns aber auch, dass wir White eine solche Tat nicht zutrauten, nicht jenem Kenny, den seine reizende Schwester beschworen hatte, jenem rechtschaffenen, gradlinigen, etwas naiven Jungen, dessen Foto uns vom Sekretär des Demonnaieschen Wohnzimmers aus angelacht hatte.
    Wer auch immer der T äter gewesen war - die Sabotage-These blieb unsere Favoritin -, wir mussten zunächst mehr über dieses geheimnisvolle Experiment in Erfahrung bringen, wurde mir bewusst. Was hatte Altomonte in Halle 7 des Europäischen Instituts ausgeheckt? Er hatte alle an der Nase herumgeführt, alle, bis auf einen. Und das war ihm zum Verhängnis geworden.
    Der Kommiss är nippte an seinem Sherry, ich an meinem Bailey's . Obwohl wir nicht gerade mit Riesenschritten vorankamen, wirkten wir entspannt und zufrieden. Ich für mein Teil war es auch. Es war ein beschaulicher Abend gewesen. Die Anwesenheit Montaignes war seltsam beruhigend. Fast schien es, als habe er die lebendige Welt hinter sich gelassen. Der Fall war für ihn genauso real, wie es irgendeine Aufgabe an der Polizeischule hätte sein können. Diese Distanziertheit, von der man nicht wusste, ob sie mehr einer kindlichen Regression oder der voranschreitenden Senilität geschuldet war, war ansteckend. Sie half auch mir, ein wenig Abstand zu gewinnen. Es war, als säßen wir in unseren Rollstühlen in der lauen Herbstsonne,

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