Die Himmelsmalerin
des Königs lachte, kurz und atemlos. »Nein, erst seit kurzem.«
Mit einem dumpfen Knall fiel die Tür hinter Lena ins Schloss.
36
Er saß ab und führte Étoile durch das Tor in den Hof hinein. Darüber war der Himmel dunkelblau und zeigte einen messerscharfen Sichelmond.
»Lionel, Lionel! Du bist wieder da!« Ein Schatten löste sich aus der Tür des Hauses, sprang auf ihn zu und landete mit einem abenteuerlichen Satz auf seinem Arm.
»Hoppla, Sanna!« Lionel ging in die Knie und setzte sie lachend auf den Boden. Er machte sich nichts vor. Er hatte Feinde und Widersacher genug, aber Kinder und Tiere liebten ihn, grundlos und bedingungslos. Und da machte auch Madeleines Findling keine Ausnahme.
» Allo, du kleiner Kobold!«
Sanna grinste und zeigte ihre obere Zahnreihe, in der sich eine geräumige Lücke auftat. »Guck mal!«, sagte sie.
Lionel stellte sich überrascht. »Mon dieu! War der nicht letztens noch anwesend? Wo …«
Er drehte sich einmal kurz im Kreis. »… ist er nur hin?«
Das Kind kicherte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Den hat mir die Martha gezogen. Nachdem ich eine Woche dran rumgewackelt hab! Und guck noch mal!«
Mit wichtiger Miene hob sie ihre Hand und drehte an dem verbliebenen vorderen Schneidezahn, der sich fast senkrecht aufstellen ließ und damit bewies, dass er nur noch am sprichwörtlichen seidenen Faden hing
»Beeindruckend«, murmelte er.
»Willst du ihn mir nicht ziehen?«, fragte sie.
Das hätte ihm gerade noch gefehlt! »Nein. Aber du kannst mir sagen, wo ich die anderen finde.« Wo ich Madeleine finde, hatte er eigentlich sagen wollen, verkniff es sich aber gerade noch.
Sanna zog die Stirn kraus und sah sich um. »Die Martha ist in der Küche und macht Abendessen. Sie grummelt, nachdem sie ihr heut Mittag den ganzen Zwiebelkuchen weggefressen haben. Und der Meister Luginsland, der ist mit dem Konrad in der Werkstatt.«
Ihre Augen wurden groß. »Ich glaub, sie haben schon auf dich gewartet.«
Nachdenklich ging er in den Stall, der dämmrig und warm war, und füllte den Trog von Bonne und Étoile mit einer doppelten Portion Hafer. Die Stute, die Madeleine bestens versorgt hatte, trat einen Schritt heran und rieb den Kopf an seinem Arm. Er sog ihren saubereren Pferdegeruch ein, in den sich Étoiles Schweiß drängte. Während er den Hengst, der durstig seinen Kopf in einen Wassereimer steckte, absattelte und ihn dann mit Stroh abrieb, zog er Bilanz.
Er war lange fort gewesen, und das in einer Zeit, in der ihm die Arbeit unter den Nägeln brannte. Aber die Botschaft des Königs hatte seine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Als er von Renata zurückgekehrt war, zu Fuß an der Burg vorbei und die schmale Beutauklinge herunter, hatte der Kundschafter Ludwigs ihn am Stadttor erwartet und nach München einbestellt. Eine dringende Notlage sei eingetreten, die seine Anwesenheit erfordere. Zur Eile gedrängt, hatte Lionel im Haus des Glasmalers vergeblich nach Madeleine gesucht und sie auch im Franziskanerkloster nicht gefunden. Danach sattelte er Étoile und folgte dem Kundschafter, der darauf bestand, dass er alles hinter sich ließ und die Nacht durchritt. Lionel spürte einen Stich schlechten Gewissens, auch den Glasmalern gegenüber, die er mit der Arbeit alleingelassen hatte, aber sein Auftrag duldete keinen Aufschub. Er schätzte Ludwig von Bayern und gönnte ihm die Macht mehr als dem ehrenhaften, aber schwachen Habsburger und dem Papst, dessen Intrigen es wieder und wieder zu vereiteln galt. Denn Ludwig schenkte sein Wohlwollen den Franziskanern, die ebenso wenig auf weltlichen Pomp und Tand gaben wie Lionel. Ihre Ansichten spiegelten ein konsequent gelebtes Christentum, das Lionel glaubhafter erschien als das, was die Vertreter der Kirche sonst so vorlebten.
Und der König, großzügig, fröhlich und manchmal etwas unbedacht, hatte ihm dafür sein Vertrauen geschenkt. Aber Spitzeldienste verrichtete Lionel eigentlich nicht für ihn. Bis sich vor einer Woche die Ausgangslage geändert hatte.
Der Kundschafter führte ihn geradewegs in die Residenz in München, wo ihn der König, umgeben von seinem engsten Kreis, bereits erwartete. Ludwig war beunruhigt. Ein anonymer Brief an Papst Johannes, abgefangen von einem seiner Spione, deutete auf ein Sicherheitsleck, ja sogar auf Mordpläne in Ludwigs Umfeld hin, und das kurz vor seinem Besuch in einer Reihe süddeutscher Reichsstädte, bei dem er einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein würde. Er hatte in den
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